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Lucas

Lucas

Titel: Lucas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Brooks
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Ich fasste in die Schublade und durchsuchte die Socken und Unterhosen. Meine Hände fühlten sich taub und unvertraut an, als ob sie jemand anderem gehörten, einem kalten, unversöhnlichen Menschen.
    Ich fand ein Pillenfläschchen, das in einem Paar Socken steckte.
    Es war eines dieser braunen Plastikfläschchen, die man in der Apotheke bekommt. Das Etikett war abgegriffen und unleserlich, die handgeschriebene Aufschrift verwischt. Ich schüttelte das Fläschchen und hielt es gegen das Licht. Die Tabletten waren klein, weiß und rund, das Fläschchen halb voll.
    Ich zog am Deckel und versuchte ihn zu öffnen, aber er rührte sich nicht. Ich hielt das Fläschchen noch einmal gegen das Licht, schaute genauer hin und sah mit einem Kopfschütteln,dass es ein Deckel mit Kindersicherung war und ich vergessen hatte in Richtung der kleinen Pfeile zu drehen.
    »Idiot«, flüsterte ich mir zu.
    Ich drehte in Pfeilrichtung und drückte meine Daumen unter den Deckelrand. Dann, gerade als er Plopp machte, brach plötzlich im Garten ein lautes Bellen los. Der Lärm schoss durch mich durch wie ein Stromstoß. Mein Körper zuckte zusammen, mein Herz sprang und das Pillenfläschchen flog mir aus der Hand und verstreute überall seinen Inhalt. Ich verfluchte Deefer, dann verfluchte ich mich, dass ich reagiert hatte wie ein aufgeschrecktes Kaninchen, und dann fluchte ich einfach nur noch. Die Pillen lagen überall – auf dem Bett, unterm Bett, auf dem Nachttisch, auf dem Fußboden. Es schienen Tausende zu sein. Ich suchte nach dem Fläschchen, fand es auf dem Boden und fing an die Pillen einzusammeln. Draußen bellte Deefer noch immer. Es war sein Warnbellen. Er wollte mir sagen, dass jemand die Zufahrt herunterkam.
    Ich hörte auf mit dem Pilleneinsammeln und horchte.
    Zuerst hörte ich nur Deefer.
    Vielleicht hat er sich geirrt, dachte ich. Vielleicht hat er jemanden bei Rita gehört oder bei Joe Rampton. Oder vielleicht war es auch nur der Wind . . .
    Dann hörte ich es. Ein Auto, das die Zufahrt heruntergejagt kam. Erst schwach, dann lauter . . . und lauter. Einen Moment versuchte ich mir einzureden, es sei Ritas Wagen oder Lennys . . . aber ich wusste es besser. Ich wusste, wessen Auto es war. Ich erinnerte mich an das Geräusch, mit dem der Wagen in den frühen Morgenstunden den Weg heruntergedonnert und mit quietschenden Reifen auf den Hof gepreschtwar. Ich erinnerte mich an das Lachen und die betrunkenen Stimmen, die die Nacht zerrissen hatten:
Ha, wir sind da! Dommo, Dommo . . . Pass auf! . . . Wuff! Wuff! . . . Mann, ich kann nicht raus . . . Hey, hey, Caity . . .
    Es war Jamie Taits Wagen.
    Jetzt fuhr er auf den Hof, bremste, hielt an . . .
    Ich sprang vom Bett auf, rannte hinüber zum Fenster und spähte durch den schmalen Schlitz an der Seite des Vorhangs. Ein schwarzer Jeep mit Kuhfängern und schwarzen Scheiben stand in der Mitte des Hofs. Das Dach war offen und Discomusik plärrte aus zwei riesigen hinteren Lautsprechern. Jamie Tait saß auf dem Fahrersitz und trank Bier aus einer Dose, Dominic saß daneben. Beide hatten sie Sonnenbrillen auf und rauchten. Als Deefer langsam über den Hof watschelte, um sie zu begrüßen, stellte Jamie die Musik ab und sie stiegen aus.
    Ich blickte über die Schulter nach den Pillen, die überall auf dem Boden herumlagen, dann schaute ich wieder aus dem Fenster. Jamie und Dom hatten den Hof halb überquert. Sie würden reinkommen. Und wenn sie drinnen waren, würden sie nach oben kommen. Und wenn sie hier reinkämen und Dom sähe die Pillen überall rumliegen . . .
    Mein Herz pochte wie ein Hammer, pumpte Adrenalin in meinen Körper und schrie, ich solle abhauen –
Raus hier, schnell, ehe sie dich erwischen
–, aber mein Kopf sagte mir etwas anderes.
Wenn du jetzt gehst
, sagte er,
wird Dom wissen, dass du da warst und seine Sachen durchwühlt hast . . . Also heb die Pillen auf und geh
dann
.
    Herz:
Es ist keine Zeit mehr . . .
    Kopf:
. . . doch, du musst . . .
    Nein, keine
. . .
    Doch, wohl
. . .
    Ich schaute wieder aus dem Fenster. Sie standen an der Haustür. Dom holte seine Schlüssel heraus . . .
    Es blieb keine Zeit zum Nachdenken.
    Ich drehte mich weg vom Fenster, hetzte hinüber zum Bett und fing an die Pillen in das Plastikfläschchen zu schaufeln. Ich fing mit den Pillen auf dem Nachttisch an, dann widmete ich mich dem Bett. Die Decke war weiß, genauso weiß wie die Tabletten – ich konnte die verfluchten Dinger nicht sehen. Während ich mit der Hand über die

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