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Lucas

Lucas

Titel: Lucas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Brooks
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vibrierte von Jamies dreckigem Lachen –
huhuhu
– und einen Augenblick dachte ich, ich müsste sterben. So richtig hatte ich noch nie Jungen über Mädchen reden hören, jedenfalls nicht, wenn sie glaubten, sie wären allein. Obwohl ich eine ziemlich klare Vorstellung hatte,
wovon
sie sprachen, hatte ich mir doch nie überlegt,
wie
sie darüber redeten. Es war so kalt und schmutzig, so unsicher, so
falsch
. Es war Ekel erregend. Natürlich wusste ich, dass man nicht alle Jungs nach Jamie Tait beurteilen durfte, aber ich hatte plötzlich das komische Gefühl, dass er vielleicht gar nicht
so
viel schlimmer war als die meisten.
    Das Bett hüpfte und Jamies Stimme war wieder da. »Wann kommt dein Alter zurück?«
    »Bill hat gesagt, gegen vier. Rita nimmt ihn mit in Joes Kneipe.«
    »Gute Wahl – willst du noch ’n Bier?«
    »Ja.«
    Jamies Hand schlängelte sich nach unten und schälte zwei Dosen aus der Packung am Boden. Ich hörte, wie er die eine Dom zuwarf, dann legte er sich zurück aufs Bett und öffnete die andere. Inzwischen war Dom aus seinem Stuhl aufgestanden und trat ans Fenster. Von dort, wo ich lag, konnte ich nur seine Boots und die untere Hälfte seiner Beine sehen, aber das reichte, um mir zu zeigen, dass er sich nicht besonders wohl fühlte. Vielleicht machte ich mir ja was vor, aber ich hatte das Gefühl, er war nicht mit dem Herzen dabei – wobei auch immer. Erwachsen zu tun, sich wichtig zu machen, schmutzige Reden zu schwingen . . . es gelang ihm nicht selbstverständlich. Es kostete ihn Mühe.
    Ich hörte, wie er sein Bier öffnete und einen Schluck trank. Dann hörte ich ihn das Fenster öffnen und ein Luftzug blies Zigarettenqualm durchs Zimmer.
    Jamies Stimme legte wieder los. »Hast du von dem Zeug probiert, das Lee mitgebracht hat?«
    »Ja«, sagte Dominic.
    »Taugt es was?«
    »Ist in Ordnung. Haut ganz gut rein.«
    »Tully meinte, er kriegt noch mehr . . .«
    Ich wusste nicht, worüber sie sprachen, doch ich nahm an, es ging um geschmuggelten Alkohol, Drogen oder so was. Es gibt eine Menge Kleinschmuggel auf der Insel   – Zigaretten, Tabak, Bier, Wein, ab und zu ein bisschen Hasch . . . Alle machen es, es ist keine große Sache. Die meisten Leute haben auch gar kein Problem damit, drüber zu reden, aber bei Jamie und Dom hatte ich das Gefühl, sie fanden es cool. Stoff, Speed, Alk . . . bla, bla, bla . . . es klang für mich alles ziemlichpubertär, so als ob zwei kleine Kinder über ihre verdammten Pokémon-Karten reden.
    Ich klinkte mich eine Weile aus und schaute mir ein bisschen meine Umgebung an. Dazu musste ich meinen Hals recken und mit dem Kopf über den Boden scharren. Viel gab es nicht zu sehen: Bettfedern, Staub, Wattereste, eine Büroklammer, Hundehaare, ein verdrecktes altes Zwei-Pence-Stück. Die Unterseite der Matratze war mit Löchern und schimmelig wirkenden Flecken übersät, die Schweißnähte des Bettrahmens hatten Rost angesetzt.
    Ich drehte meinen Kopf in die andere Richtung und schaute durchs Zimmer.
    In dem Moment sah ich die Pille.
    Sie lag auf dem Teppich, ungefähr eine Armlänge von der Bettkante entfernt. Der Teppich war dunkelgrau, deshalb stach sie heraus wie ein Schneeball auf einem leeren Parkplatz. Ich konnte es nicht fassen, dass ich sie übersehen hatte. Zum Glück wurde sie für Dominics Augen vom Bett verdeckt. Aber ich war mir ganz sicher, dass Jamie sie sehen konnte. Außer er saß mit Blick in die andere Richtung . . . oder er
hatte
sie längst gesehen, aber nicht weiter wichtig genommen . . .
    Es machte keinen großen Unterschied.
    Ich musste sie kriegen.
    Jamie und Dom redeten noch immer, jetzt schwafelten sie über Autos, Boote und solches Zeug und sie hatten das nächste Bier geöffnet. Ich überlegte. Wenn sie weitersoffen, musste über kurz oder lang einer von beiden ins Bad und genau dann wäre die Gefahr groß, dass der andere die Pille entdeckte. Also hatte ich nicht viel Zeit.
    Ich fing an über den Boden zu rutschen und bewegte mich so schnell es ging, ohne den Staub unterm Bett aufzuwirbeln. Es war nicht viel Platz. Ich musste meine Beine zur Seite beugen, mich auf den Ellenbogen abstützen, den Rücken wölben und mich so Zentimeter um Zentimeter weiterschieben. Ich konnte es nicht ändern, dass es ein paar Geräusche machte, deshalb richtete ich meine Bewegungen so ein, dass sie immer zeitgleich mit Doms oder Jamies Stimme erfolgten. Jedes Mal wenn sie aufhörten zu reden, lag ich still. Zum Glück unterbrachen sie sich nicht

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