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Lucas

Lucas

Titel: Lucas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Brooks
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allzu oft, deshalb dauerte es auch nicht lange, bis ich die Bettkante erreicht hatte. Danach ging es nur noch darum, den Arm auszustrecken und nach der Pille zu greifen. Aber ich wusste immer noch nicht, in welche Richtung Jamie guckte. Wenn er in diese Richtung sah, würde er meine Hand bemerken. Er müsste wirklich blind sein, wenn er sie
nicht
sah. Ich lag eine Weile da, starrte einen Riss in der Matratze an und versuchte mir zu überlegen, was ich tun sollte, aber mir fiel nichts ein. Ich wusste nicht, wie ich herausfinden sollte, in welche Richtung Jamie guckte. Ich wusste auch keinen sicheren Weg, ihn abzulenken. Und ich wusste vor allem keine andere Möglichkeit, an die Pille heranzukommen.
    Schließlich atmete ich einfach tief durch, zählte bis drei, dann flog meine Hand heraus und schnappte sich die verfluchte Pille.
    Plötzlich hörte das Reden auf.
    Ich hielt den Atem an.
    Dann hörte ich das Klicken eines Feuerzeugs und das scharfe Einatmen, als Jamie sich eine neue Zigarette anzündete.Ich atmete vorsichtig wieder aus. Der Geruch nach Zigarettenrauch erfüllte das Zimmer und ich hörte, wie Jamie alberne kleine Laute von sich gab, um irgendeinen schmutzigen Witz, den er Dom erzählte, akustisch zu veranschaulichen.
    Ich zog mich von der Bettkante zurück und lag ganz still, um mein Herz wieder zur Ruhe kommen zu lassen.
    Als der Witz zu Ende war und Jamie sich dumm und dämlich gelacht hatte, hörte ich Dom durchs Zimmer gehen und sich ein neues Bier holen. Dann ging er zurück und setzte sich wieder in den Korbstuhl. Ich hörte, wie Jamie seufzte, und spürte, wie er sich aufs Bett zurücklegte.
    Eine Weile war es still.
    Ich merkte, dass ich die Pille immer noch in meiner Hand umklammert hielt. Ich spürte sie, fest und rund, eingeschlossen in meiner Handfläche. Ich war in solcher Eile gewesen, als ich die Pillen einsammelte, dass ich mir gar nicht die Mühe gemacht hatte, nachzugucken, was sie sein konnten. Nicht, dass es wichtig war. Aber jetzt hatte ich ja genügend Zeit. Und ich war neugierig. Ich hob meine Hand vors Gesicht und öffnete die Finger. Das Licht unterm Bett war schwach, deshalb führte ich die Hand direkt an meine Augen und betrachtete die kleine weiße Pille. Ich wusste nicht wirklich, was ich zu sehen erwartete. Ecstasy vielleicht? Amphetamine? LSD? Nichts hätte mich überrascht. Aber als ich die vertraute einfache Form sah und plötzlich erkannte, um was es sich handelte, hätte ich schreien können.
    Es war Aspirin.
     
    Mit der Zeit zeigte das Bier seine Wirkung. Jamie und Dom fingen an wie blöde zu kichern. Ihre Unterhaltung versank in einer Folge entstellter Lacher, unvollständiger Sätze und unsinniger Abschweifungen. Sie klangen wie eine Gruppe überdrehter achtjähriger Jungs, die nicht wissen, wovon sie reden, aber trotzdem unbedingt drüber reden wollen. Ich hatte keine Lust mehr, ihnen zuzuhören. Es reichte mir. Ich lag nur noch da, mit geschlossenen Augen, die Arme über der Brust verschränkt, und wartete, dass sie den Mund hielten und endlich verschwanden.
    Wie eine Leiche kam ich mir vor.
    Eine Leiche mit schmerzendem Rücken und taubem Hintern.
    Ich weiß nicht, wie lange ich dort gelegen habe. Wahrscheinlich nicht länger als eine Stunde, aber es kam mir vor wie ein Monat. Jamie redete endlos weiter, beide hörten nicht auf zu trinken und zu rauchen, nach einer Weile war das Zimmer stickig von Qualm und Biergestank und ich fühlte mich immer schläfriger. Um nicht ganz wegzudösen, dachte ich an den Strand und stellte mir die Brise auf meiner Haut und den Geruch des Meers vor . . . aber es half nichts. Ich unterdrückte ein Gähnen. Ich hatte einen dicken Schädel und mein Körper war taub. Ich döste ein.
    Gerade als ich ganz wegdriften wollte, hörte ich plötzlich jemanden »Lucas« sagen. Zuerst dachte ich, ich hätte es mir nur eingebildet, dann hörte ich es wieder. Es war Jamies Stimme. Auf einmal war ich hellwach.
    ». . . hat Sara erzählt«, sagte er. »Craine hat ihn wegen Sonntag auf die Wache geschleppt.«
    »Wieso das?«
    »Die haben ihn zu Kylie Coombe befragt. Ihre Mutter glaubt doch noch immer, er hat sie belästigt. Blödes Weibsbild.«
    »Ich dachte, du hättest gesagt, er
hat

    »Hat er natürlich nicht. Das kleine Schaf ist untergegangen – ich wollte gerade ins Wasser springen, sie selber retten, da taucht auf einmal dieser Zigeunerknabe nach ihr.«
    »Und warum bestätigst du dann Ellens Aussage?«
    Jamie antwortete nicht.
    Dom

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