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Lucas

Lucas

Titel: Lucas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Brooks
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weil Bill es nicht mehr als Witz meinte. Sie meinte es wirklich. Und das machte mir Sorgen. Das Dumme war, wenn ich ihr erzählte, was ich wirklich davon hielt, würde sie bloß drüber lachen. Sie würde sagen: Ach, komm, Cait, sei doch nicht immer so schrecklich
ernst
, es ist doch nur ein kleiner Spaß . . .
    Deshalb ließ ich es, egal ob richtig oder falsch, einfach weiterlaufen.
    »Cait?«
    »Ja, wer war das?«
    »Was?«
    »Ich dachte, du hättest mit jemandem gesprochen.«
    »Nein, ist bloß die Glotze. Hab sie nur leiser gestellt. Egal, bleibt es bei morgen?«
    »Wie viel Uhr?«
    »Wir treffen uns um zwei an der Bushaltestelle   –«
    »Warum soll ich nicht bei euch vorbeikommen? Wir können doch zusammen zum Bus gehen.«
    »Nein, ich muss noch vorher woandershin. Wir treffen uns um zwei.«
    »Der Bus fährt um zehn vor.«
    »Gut, dann Viertel vor. Was ziehst du an?«
    »Anziehen? Ich weiß nicht, nichts Besonderes – wieso?«
    »Ach, nichts, ich dachte nur, wir donnern uns zur Abwechslung mal ein bisschen auf.«
    »Aufdonnern?«
    »Du weißt schon. Rock, Absätze, hautenges Top . . .«
    Ich musste lachen. »Wir fahren doch nur nach Moulton.«
    »Ja, aber . . . du siehst echt gut aus, wenn du dich zurechtmachst. Solltest du öfter tun. Du kannst nicht andauernd diese abgetragenen Shorts und ein T-Shirt anziehen.«
    »
Tu
ich doch gar nicht.«
    »Tust du wohl. Shorts und T-Shirt im Sommer, Jeans und Pulli im Winter   –«
    »Was ist daran falsch?«
    »Nichts – was ich nur sagen will: Ab und zu muss man auch mal ein bisschen Aufwand treiben. Bisschen Beine zeigen, bisschen Bauch, bisschen Lippenstift draufknallen, verstehst du . . .«
    »Mal sehen. Vielleicht . . .«
    »Ach, komm, Cait. Es wird lustig.«
    »Ich hab gesagt, vielleicht.«
    »Man weiß ja nie, vielleicht reißen wir einen echt geilen Typen auf . . . Was macht eigentlich Dom morgen? Ratatazong, Dom.«
    »Mensch, Bill.«
    »Upps – ich muss auflegen. Ich glaube, Mum ist wieder da,und ich hab immer noch die Fluppe brennen. Wir treffen uns morgen um zwei.«
    »Viertel vor – Bill?« Aber sie war schon aus der Leitung.
    Ich legte den Hörer auf und ging in die Küche. Das Haus war still. Schwache Geräusche trieben durch die Stille – das angenehme Tap-tap von Dads Tastatur, das Brummen eines Flugzeugs hoch oben am Himmel, der ferne Schrei einer einsamen Möwe. Durch das Fenster sah ich das Containerschiff um den Point fahren – schwer beladen mit bunten Stahlcontainern. Der Himmel darüber bewölkte sich ein bisschen, aber die Sonne schien immer noch warm und hell und tauchte die Insel in einen rosa Schein.
    Ich mag diese Tageszeit. Wenn das Licht sanft glüht und die Luft ein Gefühl von Schläfrigkeit verbreitet – dann scheint es, als ob die Insel nach einem langen, schweren Tag ausatmen und sich für die Nacht bereitmachen würde. Im Sommer sitze ich oft Stunden in der Küche und schaue zu, wie der Himmel seine Farbe ändert, während die Sonne untergeht, aber an diesem Abend fand ich keine Ruhe. Ich nehme die Dinge zu schwer, genau wie Dad. Ich machte mir Sorgen um ihn. Ich machte mir Sorgen um Dominic, dass er sich im letzten Jahr so sehr verändert hatte. Und der Junge auf dem Damm . . . es machte mir Sorgen, wieso ich nicht aufhören konnte an ihn zu denken . . . und Bill . . . ich wünschte mir, ich hätte sie nicht angerufen. Ich wünschte mir, wir würden morgen nicht in die Stadt fahren. Ich wünschte mir . . . ich weiß nicht, was. Ich wünschte mir, ich müsste nicht erwachsen werden. Das Ganze war einfach zu deprimierend.
    Ich rief nach Deefer und lief den Fußweg hinunter.
     
    Das Problem mit Dad ist, er hat zu viel Traurigkeit in den Knochen. Man kann das an der Art erkennen, wie er geht, wie er seine Umgebung ansieht und sogar daran, wie er sitzt. Als ich an jenem Abend das Haus verließ, schaute ich hinüber zum Fenster seines Arbeitszimmers und sah ihn, über den Schreibtisch gebeugt, in seinen Bildschirm starren, eine Zigarette rauchen und irischen Whiskey schlürfen. Er sah so traurig aus, dass ich hätte heulen können. Es war dieser unverhüllte Blick der Trauer, den man selten sieht, der Blick eines Menschen, der sich alleine glaubt.
    Es ist natürlich wegen Mum. Seit sie tot ist, ist er mit seiner Traurigkeit allein. Nicht dass er mit mir nie über Mum spräche – das tut er schon. Er erzählt mir, wie wunderbar sie war, wie schön sie war, wie freundlich, wie fürsorglich, wie lustig – »Gott, Cait, wenn

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