Lucian
Traum sprach. Wir lagen noch genauso, wie wir eingeschlafen waren, eng umschlungen, seine Brust an meinem Rücken. Erst glaubte ich, seine Stimme in meinem Traum zu hören, aber dann merkte ich, dass er es war, der träumte.
». . . ich auch . . .«, hörte ich ihn murmeln. Er klang gequält, hilflos. ». . . aber du musst . . . sonst . . . nicht bei dir . . . hör auf . . . hör auf . . . zu bitten . . . kann nicht . . . sonst . . .«
Er fuhr hoch und ich merkte, dass ihm der Schweiß über das Gesicht lief. Seine Haare waren nass.
»Hey«, sagte ich. »Du hast geträumt. Was . . . war?«
Ich knipste das Licht an. Lucian blinzelte. Er sah völlig verwirrt aus und schien eine ganze Weile zu brauchen, um zu registrieren, wo er war.
»Ich weiß es nicht«, murmelte er verstört. »Ich weiß nicht, was ich geträumt habe. Normalerweise sehe ich es direkt vor mir, aber jetztist es weg.« Er lächelte schief und legte seinen Kopf auf meine Brust. »Das muss an dir liegen«, murmelte er und küsste mich. »Du kannst sogar Träume verjagen.«
Er zog mich in seine Arme, aber wir schliefen nicht wieder ein.
»Ich hab Durst«, sagte Lucian irgendwann und wollte aufstehen, aber ich hielt ihn zurück.
»Lass mich gehen«, sagte ich. »Ich muss sowieso aufs Klo.«
Ich tapste durch den dunklen Flur in die Küche, füllte ein Glas mit Leitungswasser und suchte auf dem Rückweg zu Lucians Zimmer das Bad. Ich öffnete eine Kleiderkammer, einen Abstellraum und beim dritten Anlauf hatte ich Glück. Ich tastete nach dem Lichtschalter
und fand mich in einem riesigen Badezimmer mit Marmorwaschbecken und einem Whirlpool wieder. Eine Dusche und ein Bidet gab es auch, nur die Toilette fehlte. Gerade als ich überlegte, ob ich das Bidet benutzen sollte, ging die Tür auf. Ich fuhr herum und ließ vor
Schreck das Glas fallen.
Vor mir stand eine splitternackte Frau. Sie war ungefähr in Jannes Alter und hatte lange kastanienbraune Haare, deren zerzauster Zustand ziemlich deutlich verriet, womit sie bis eben beschäftigt gewesen war.
»Ich . . . ähhh . . .«, stammelte ich und hätte mich am liebsten in Luft aufgelöst, was die nackte Frau mit einem Augenzwinkern zur Kenntnis nahm.
»Na, da bin ich heute wohl nicht der einzige Damenbesuch«, sagte sie belustigt. »Hi. Ich heiße Kim. Und wer bist du?« Sie lächelte mich an, als würden wir einander auf einer Stehparty begegnen.
»Ich . . . ich . . .« Himmel, ich brachte es nicht mal fertig, meinen Namen zu nennen.
»Lass mal, Schätzchen«, sagte die Frau. »Ist schon gut. Wie wär’s, wenn du zurück ins Bett gehst und ich das mit dem Glas erledige?«
Diese Frage brauchte sie nicht zweimal zu stellen. In Lichtgeschwindigkeit sauste ich zurück in Lucians Zimmer.
Als ich ihm erzählte, was passiert war, fing er an zu lachen.
»Na«, sagte er. »Jedenfalls hast du jetzt den Beweis, auf welches Geschlecht mein Gastgeber wirklich steht.«
»Sehr witzig«, brummte ich. »Aber vorstellen willst du ihn mir nicht?«
»Jetzt?« Lucian zog eine Augenbraue hoch.
Kichernd wehrte ich ab. »Vielleicht doch lieber morgen.« Zögernd sah ich zur Tür. »Und du meinst, das ist wirklich . . . okay?«
»Was? Dass mein Gastgeber Damenbesuch hat?«
»Nein, dass du . . . Mädchenbesuch hast.«
»Ich habe keine Hausregel gelesen, die es verbietet«, sagte Lucian. »Entspann dich. Der Typ ist cool. Er wird mir schon nicht den Hals umdrehen.«
»Lucian?«
Er sah mich fragend an.
»Wo ist denn nun die Toilette?«, fragte ich etwas beschämt.
»Oh.« Lucian grinste. »Das ist ganz leicht. Gleich neben meinem Zimmer.«
Als ich zurückkam, hielt Lucian das Buch meiner Mutter in der Hand und blätterte darin herum. »Ich möchte gerne wissen«, murmelte er, »an welcher Stelle sie aufhören.«
Ich runzelte die Stirn. »Aufhören? Was meinst du?«
»Meine Träume von dir«, sagte Lucian. »Sie kommen wahllos, wie Szenen eines Films, die auseinandergerissen und dann wieder neu zusammengewürfelt sind. Aber wo ist der Anfang? Und wo ist das Ende?« Er sah mich an. »Verstehst du, was ich meine? Eigentlich wollte ich deine Mutter danach fragen, aber das . . . geht ja jetzt nicht mehr.«
Ich nickte und plötzlich fiel mir etwas ein. Ich griff nach Jannes Buch, schlug die letzten Seiten auf und hielt sie Lucian hin. »Hast du das Kapitel gelesen? Über luzides Träumen?«
Lucian setzte sich im Bett auf. »Ich glaub nicht«, sagte er. »Was steht denn drin?«
»Es ist so ähnlich wie der
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