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Lucian

Lucian

Titel: Lucian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Abedi
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das Glas an den Mund, nahm einen Schluck und drückte seine Lippen auf meine. Langsam, Tropfen für Tropfen, ließ er den Champagner aus seinem in meinen Mund fließen.
    »Genug«, keuchte ich. »Es sei denn, du willst, dass ich vom Dach falle.«
    Lucian lachte. Seine Augen funkelten wie dunkle Sterne.
    »Einen Traum wolltest du Janne nicht erzählen«, hörte ich mich plötzlich sagen. »Ich weiß nicht, wovon du gesprochen hast, aber du meintest, da sei eine Schwingtür gewesen und Metall. Meine Mutter hat weitergebohrt, und du hast dichtgemacht.«
    Lucian wurde sehr still. Er starrte in die Fenster der Häuser und ich folgte seinem Blick, während ich auf seine Antwort wartete. Immer wieder ging hier ein Licht an und dort eins aus, während hinter vielen Fenstern die blau flirrenden Lichter der Fernsehbildschirme zu sehen waren. Unglaublich, man konnte sogar erkennen, wie gezappt wurde. Schräg unter uns in einem Hotelzimmer stritt sich ein Pärchen um die Fernbedienung.
    »In diesem Traum habe ich meinen Namen gefunden«, sagte er schließlich. »Oder eigentlich hast du ihn gefunden.«
    »Wie meinst du das?«
    »Du warst noch ganz klein. Es war ein Krankenhaus, du lagst auf einer Trage. Du hast mich angesehen und Lu genannt. Und du wolltest mich etwas fragen, aber dann . . .«
    Lucian hob die Schultern. »Ich weiß nicht mehr, was dann war. Aber Lu war wenigstens ein Anfang.«
    Er lächelte. »Den Rest hab ich einfach drangehängt. Erst hatte ich Lucas im Kopf, aber das war mir irgendwie zu gewöhnlich.«
    »Janne dachte, ich meinte meinen kleinen Bären«, sagte ich leise. »Spatz hatte ihn neben der Schaukel gefunden.«
    Lucian sah mich unsicher an.
    »Ich bin von der Schaukel gefallen«, fuhr ich fort. »Ich war drei und Spatz hat mir die Geschichte gerade neulich wieder erzählt. Ich bin mit dem Kopf auf eine Steinplatte geknallt und musste operiert werden. Spatz hat den Bären neben der Schaukel aufgehoben und dann hat sie uns ins Krankenhaus begleitet. Als ich im Aufwachraum lag, habe ich nach Lu gerufen. Spatz meinte, ich wäre so aufgeregt gewesen. Janne hat mir den Bären in die Hand gedrückt, aber offensichtlich war er nicht das, was ich wollte.«
    Ich schaute auf Lucians Finger. Ganz still lagen sie auf meinem Handrücken, dann streichelten sie sanft über meine Haut. Plötzlich musste ich doch wieder an Suses verrückte Theorie von dem wiedergeborenen Zwilling denken, die ich selbst ja auch gehabt hatte.
    »Träumst du eigentlich auch . . . von jemand anderem?«, fragte ich nach einer Weile.
    Lucian nickte, dann schüttelte er den Kopf.
    »Manchmal«, sagte er, »habe ich diffuse Träume von Schatten oder Landschaften. Manchmal ist alles dunkel und ich höre Stimmen, aber ich weiß nicht, woher sie kommen. Und manchmal träume ich, dass ich tauche. Tief unter Wasser. Das ist am schönsten. Es fühlt sich so schwerelos an, fast als würde ich fliegen.«
    »Ja«, flüsterte ich. »Das kenne ich. Genau das fühle ich auch manchmal, wenn ich schwimme.«
    »Und wie«, fragte Lucian, »wie fühlt es sich an, Eltern zu haben?«
    Ich wusste nicht, was ich darauf erwidern sollte. Ich hatte noch nie über diese Frage nachgedacht. Jeder hatte Eltern, jedenfalls alle, die ich kannte. Es war das Normalste von der Welt. Und im Gegensatz zu vielen anderen hatte ich mit meinen Eltern ziemliches Glück gehabt –wenn man von den Ereignissen der letzten Wochen mal absah.
    »Es fühlt sich richtig an«, sagte ich. »Wie ist es für dich? Wie fühlt es sich an, nicht zu wissen, wo die eigene Familie ist?«
    Lucian schwieg. Er sah hinauf in den Himmel, der plötzlich hell erstrahlte. Ein lautes Donnern ertönte, aber es war kein Gewitter.
    Vor dem erleuchteten Riesenrad des Hamburger Doms ging das Feuerwerk los. Wie explodierende Sterne stoben die Funken in den Himmel, in allen Farben und Formen. Sie brannten, schenkten Schönheit und verloschen.
    »Phone home«, krächzte Lucian mit verzerrter Stimme. Er krümmte seinen Finger und zeigte auf den blinkenden Fernsehturm, der von hier aus einem UFO glich.
    »ET phone home . . .«
    »Du Knallkopf!« Ich lachte. »Woher kennst du denn den alten Schinken?«
    »Lief vor ein paar Tagen im Fernsehen«, sagte Lucian. »Aber die Idee ist doch nicht so schlecht. Was meinst du? Wenn jetzt ein Raumschiff käme, um mich abzuholen, würdest du dann mit mir kommen?«
    »Na klar«, sagte ich, ohne zu zögern. »Ich hoffe nur, da oben gibt es Schwimmbäder. Oder Seen.«
    »Oder das

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