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Lucian

Lucian

Titel: Lucian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Abedi
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hasse meine Mutter«, sagte ich.
    Suzy kicherte. »Das klingt lustig. Was heißt das? Was heißt Mutta?«
    Ein lautes Klingeln ersparte mir die Antwort. »Ich hab jetzt Ceramics«, sagte Suzy. »Und du?«
    »Auch.« Jetzt bereute ich, dass ich mich nicht für den Zeichenkurs angemeldet hatte. Vielleicht konnte ich umwählen. Aber dann würde mir ein anderes Mädchen dieselben Fragen stellen.
    Suzy stopfte ihre tropfnassen Sachen in ihren Turnbeutel und griff nach ihrer Schultasche. »Super! Komm, ich zeig dir, wo es langgeht. Was für Musik magst du? Was hört ihr so in Deutschland?Kannst du was singen? Was Deutsches meine ich? Singst du was für mich?«
    Sie klatschte in die Hände wie ein kleines Kind und lachte mich erwartungsvoll an. Ich hätte sie mögen können. Ich hätte mich bei ihr einhaken, mit ihr zu Ceramics und später in die Lunchpause gehen können. Ich hätte sie fragen können, ob sie mich ihren Freunden vorstellen oder mich mit auf eine Party nehmen würde. Ich hätte ihr Gekommen um zu bleiben von Wir sind Helden oder Die Lösung von Annett Louisan vorsingen und ihr von meiner deutschen Busenfreundin Suse erzählen können. Ich hätte ihr sagen können, dass sie sich mit ihr wahrscheinlich ziemlich gut verstehen würde.
    Hätte ich. Wenn ich. Freiwillig. Hier gewesen. Wäre.
    Stattdessen hatte ich mich selbst hier eingeliefert, um der größeren Hölle, dem Luxusknast in Pacific Palisades, zu entkommen.
    Also würde ich nicht darum herumkommen, mich zusammenzureißen und so zu tun, als wäre ich eine ganz normale neue Schülerin aus Deutschland an einem ganz normalen ersten Schultag in einem fremden Land. Also gab ich Suzy zur Antwort, dass ich nicht singen konnte, aber demnächst mal meinen iPod mitbringen würde, wofür ich dann ein erneutes »Fantastisch« erntete. Sie hakte sich bei mir ein und eskortierte mich über den Schulhof in eines der zahlreichen Gebäude.
    Die kommenden Stunden waren die Hölle. In Ceramics sollten wir unserer Fantasie freien Lauf lassen, was ich natürlich nicht tat, sondern die Zeit verbissen damit zubrachte, eine möglichst realistische und grottenlangweilige Blumenvase zu formen. Suzy redete unaufhörlich auf mich ein, stellte mir Fragen, die ich wohl auch beantwortete, aber ich bekam nichts davon mit, ich schaltete auf Automatik und konzentrierte mich auf den Schlamm zwischen meinen Fingern.
    Im Mathematikunterricht, der wieder in einem anderen Raum stattfand, war für heute ein Test angesetzt worden und ich war zu meinem Frust dreißig Minuten vor Unterrichtsende fertig.
    Dann stand amerikanische Geschichte auf dem Plan, an der Suzy zu ihrem Bedauern heute nicht teilnehmen würde, weil sie eine Sitzung mit den Schulsprechern hatte. Dafür zeigte sie mir den Klassenraum, der wieder auf der anderen Seite des Geländes lag. Wir brauchten im Dauerlauf fast fünf Minuten.
    Der Lehrer, ein schmächtiger Mann mit wirren Locken, wurde von der Klasse hartnäckig ignoriert. Ich setzte mich in die letzte Reihe neben einen Typen mit Punkfrisur, der mir zum ersten Mal an diesem Tag ein kleines Grinsen entlockte. Auf seinem zerrissenen ärmellosen T-Shirt stand die Aufforderung Sprich mich bloß nicht an. Thema der Stunde war der amerikanische Unabhängigkeitskrieg, und während meine Mitschüler in eine Art Koma verfielen, versuchte ich mit aller Macht, meine Konzentration auf die piepsige Stimme meines Lehrers zu richten, der mein Interesse euphorisch zur Kenntnis nahm.
    In der Mittagspause fing mich Suzy wieder ab und zog mich mit sich, um mich ihren Freundinnen vorzustellen. Es hagelte Fragen.
    »Sag was auf Deutsch!«
    »Wieso bist du hierhergezogen?« »Wie gefällt dir Los Angeles?« »Was sind deine Lieblingsbands?«
    »Dürft ihr wirklich schon mit sechzehn Alkohol trinken?« »Rauchst du?«
    »Habt ihr Clubs? Discos?«
    »Hast du einen Freund?« »Bringst du morgen ein paar Fotos aus Deutschland mit?«
    Nein, dachte ich. Weil ich morgen nämlich nicht mehr wiederkomme. Ende der Fahnenstange. Die letzte Stunde würde ich noch hinter mich bringen und dann: Good bye, Pali High.
    Die letzte Stunde war Englisch. Sie fand in einem hellen, gepflegten Raum statt, dessen Wände frisch gestrichen waren und dessen glänzende Holztische wirkten, als wären sie gerade erst neu gekauft worden.
    Suzy zog mich neben sich zu einem Platz am Fenster, schwatzte von dem Mando-Diao-Konzert, das nächste Woche in der Hollywood Bowl stattfinden würde, und von der Möglichkeit, noch eine

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