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Lucian

Lucian

Titel: Lucian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Abedi
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mich Faye. »Er musste sich in deiner Nähe befinden. Es war kein Kunststück, ihn aufzuspüren. Genau wie bei Morton und Ambrose.«
    »Eben«, rief ich. »Aber dann muss es doch auch hier geschehen! Warum findet er mich dann nicht?«
    »Weil Lucian das Band zwischen euch durchtrennt hat. Diesmal hat er dafür gesorgt, dass du ans andere Ende der Welt verbannt wirst. Hier wird er dich nur durch puren Zufall finden. Es sei denn, dir fällt doch etwas ein, was du ihm erzählt haben könntest.«
    Mir fiel aber nichts ein. Aus schierer Verzweiflung überredete ich Faye am Samstagmittag, den Zufall herauszufordern und trotzdem die Strände abzufahren, sodass ich wenigstens das Gefühl hatte, etwas zu tun.
    Zuerst versuchten wir es in Santa Monica Beach, wo sich Familien mit kleinen Kindern in dem Vergnügungspark tummelten. Von dort aus fuhren wir vorbei an Skatern und Fahrradfahrern weiter nach Malibu Beach, dem Paradies der Surfer mit den prachtvollen Strandhäusern, in denen die Reichen und Schönen ihre Wochenenden verbrachten.
    »Was siehst du?«, fragte ich Faye, als wir an einem Mädchen inmeinem Alter vorbeifuhren, die in kurzen Hotpants am Strand entlanglief und ihren Gedanken nachhing. »Wie erkennst du, dass sie einen Begleiter haben?«
    »Es ist wie bei dem Bild von Val«, sagte Faye. »Ich sehe nur diese Ahnung eines Schattens. Manche Menschen behaupten, sie könnten die Aura eines anderen Menschen sehen. Im Grunde ist es nichts anderes als das. Es ist nichts Besonderes. Es ist einfach etwas, das sie umgibt.«
    Wir fuhren nach Manhattan Beach, wo die Surfer auf die perfekte Welle warteten, dann weiter nach Hermosa Beach, wo das ganze Jahr über Volleyballturniere stattfanden, und schließlich nach Cabrillo Beach, wo die bunten Segel der Windsurfer wie Riesenschmetterlinge über das Meer flatterten. Die Sonne schien, es war heiß wie im Sommer und alle Menschen, denen wir unterwegs begegneten, waren strahlender Laune. Aber ich wurde mit jeder Stunde frustrierter und unruhiger. Abends in meinem Zimmer brach ich in Tränen aus, bis ich so erschöpft war, dass ich einschlief.
    Und wieder fiel der Albtraum über mich her, es waren dieselben Bilder, die ich hundertmal geträumt hatte, aber ihr Effekt war schlimmer als je zuvor, denn nun wusste ich, dass mir die Bilder nicht von meinem Unterbewusstsein vorgegaukelt wurden. Mein Traum spiegelte tatsächlich die Zukunft und mit jedem Tag, jeder Stunde und jeder Minute, in der Lucian und ich voneinander getrennt waren, rückte dieser Moment näher.
    Aber es war nicht die Erkenntnis, dass ich sterben musste, die mich mit unsagbarem Entsetzen erfüllte, sondern die Möglichkeit, dass ich allein sterben könnte. Denn dann müsste Lucian allein leben. So wie Faye. So wie Tyger.
    Um die Nacht durchzustehen, ließ ich das Licht brennen, verkrallte meine Hände in Spatz’ Glücksschwamm und sang sämtliche Kinderlieder, die ich im Kopf hatte, nur um diese schlimmste aller Ängstevon mir fernzuhalten. Als es Zeit wurde aufzustehen, stürzte ich mich wieder in puren Aktionismus. Handeln, Rebecca, nicht denken, so lautete die Devise. Beim Frühstück fragte ich Dad, ob er Lust hätte, mir die Stadt zu zeigen. Michelle, die eigentlich andere Pläne gehabt hatte, machte einen schmalen Mund und Val war enttäuscht. Sie feierten Tag der offenen Tür an ihrer Schule und Val hatte eine kleine Rolle in einem Theaterstück. Aber Dad war so glücklich über meinen Wunsch, etwas mit ihm zu unternehmen, dass er Michelle einen deutlichen Blick zuwarf, Val vertröstete und versprach, bei der nächsten Aufführung auf jeden Fall dabei zu sein.
    Wie ein riesiger Scheinwerfer strahlte die Sonne herab auf die Stadt, durch deren Straßen mich Dad kutschierte. Wo wollte ich hin, was wollte ich anschauen, hatte er gefragt, denn es gäbe viel zu entdecken in dieser vier Millionen Einwohner großen Traumfabrik. Ich bat ihn, einfach nur irgendwohin zu fahren.
    Die Palmen warfen lange Schatten. Die Straßen waren voller Autos, aber niemand drängelte, niemand hupte. Alle schienen Zeit zu haben. Anders als die Straßen in Hamburg waren die Alleen und Boulevards breiter, prächtiger und gradliniger. Dad erzählte mir, dass die längste Straße von Los Angeles hundert Kilometer lang war.
    Alles war lang. Alles war groß. Die Supermärkte, die Parkplätze, die strahlenden Models auf den Werbeflächen. Verglichen mit dieser Stadt war Hamburg ein Spielzeugdorf.
    Während Dad auf einzelne Gebäude wies, mir

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