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Lucian

Lucian

Titel: Lucian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Abedi
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empor, dazwischen die sattgrünen Wiesen und über uns war nichts als Himmel. Er war wolkenlos und von einem klaren, tiefen Blau. Ein Schwarm von Vögeln segelte durch die Luft.
    »Hier hab ich ein paar Mal gesessen«, sagte Lucian. »Und wenn ich nicht gewusst hätte, dass es nichts bringt, hätte ich mich wahrscheinlich in die Tiefe gestürzt.«
    »Wie meinst du das?«, fragte ich erschrocken. »Was hätte es dir denn bringen sollen außer . . . den Tod?«
    Lucian lachte trocken. »Genau den eben nicht. Das hatte ich bereits in Deutschland herausgefunden.«
    Ich fühlte, wie mir das Blut aus dem Gesicht wich. »Du hast versucht, dich umzubringen?«
    Lucian nickte.
    »Wann?«, flüsterte ich. »Wie?«
    »Bevor ich dir gefolgt bin«, sagte er. »Ich habe Tabletten geschluckt. Ich bin von der Brücke gesprungen. Ich habe mir mit einer Rasierklinge . . .« Lucian stockte und schüttelte entschlossen den Kopf. »Sagen wir einfach: Ich hab es mit allen Mitteln probiert. Aber es hat nicht funktioniert.
    Er hielt mir sein Handgelenk hin. Ich starrte auf die glatte unversehrteHaut an seinen Pulsadern und dachte an Tyger und Faye, die ebenfalls versucht hatten, sich das Leben zu nehmen. Aber da waren sie bereits allein, während ich noch lebte.
    »Ich kann es immer noch nicht glauben, Rebecca«, sagte Lucian leise und fügte dann mit einem Knurren hinzu: »Und ich kann nicht fassen, dass Morton mir verschwiegen hat, wer ich bin.«
    »Wo bist du Tyger eigentlich begegnet?«, fragte ich.
    Lucian ging in die Hocke und hob einen Stein vom Boden auf. »Irgendwo auf dem Kiez«, sagte er. »Es war in der Nacht, nachdem dich deine Leute am Falkensteiner Ufer abgefangen hatten. Ich habe mir in irgendeiner üblen Bar die Kante gegeben, als Morton plötzlich neben mir am Tresen saß und mich fragte, ob ich mich gerne an einem angenehmeren Ort betrinken würde. Am Anfang dachte ich tatsächlich, der Kerl wollte mich abschleppen, aber ich war so fertig mit den Nerven, dass mir fast alles egal war. Tyger hat mich zu sich nach Hause gefahren und mir sein Gästezimmer angeboten. Am nächsten Morgen hatte ich frische Brötchen auf dem Tisch und abends hat mir Tyger dann den Job bei Max und Consorten verschafft. Der Pub gehört ihm. Er meinte, er hätte ihn vor siebzig Jahren gekauft, was ich natürlich für einen blöden Witz gehalten habe.«
    Lucian sah mich an. »Wie alt ist er?«
    Ich hockte mich neben Lucian und wiegte den Kopf. »So um die hundertfünfzig.«
    »Und sein . . . Mensch hieß Ambrose?«
    »Ja. Ambrose Lovell. Er war Schriftsteller. Er hat sich in die Verlobte meines Urgroßvaters verliebt und sie geheiratet. Dafür hat mein Urgroßvater Lovells Werke verrissen. Lovell hat sich umgebracht. Tyger kam eine Minute zu spät. Er konnte ihm nicht mehr helfen und sich selbst damit auch nicht.«
    Ich strich Lucian, der nachdenklich den Stein in seiner Hand wiegte,über den Arm. Seine Haut war ganz weich und hatte von der Sonne einen leicht goldbraunen Ton angenommen.
    »Kannst du dich denn jetzt an etwas erinnern?«, fragte ich leise.»Ich meine, an . . . an das, was du gewesen bist?«
    Lucian schwieg. Er schaute nach unten, auf die winzigen Bäume und Hügel, durch die sich der schmale Flusslauf des Sees schlängelte. Das Wasser war so grün, dass es fast künstlich aussah, als würde man durch die getönten Gläser einer Sonnenbrille blicken.
    »Nicht wirklich«, sagte er schließlich. »Jedenfalls nicht mit dem Kopf. Ich weiß jetzt, dass das, was du mir gestern gesagt hast, wahr ist. Ich konnte . . . ich kann es fühlen. Aber ich habe kein Bild von mir. Ich sehe immer nur dich.« Er schloss die Augen. »Und ich sehe diesen furchtbaren Traum.«
    Lucian schleuderte den Stein über den Abgrund. Er flog durch die Luft, verharrte für den Bruchteil einer Sekunde im Himmelsblau und stürzte dann senkrecht in die Tiefe. »Als ich dein Foto im Haus deines Vaters entdeckt habe, bin ich erst einmal wie verrückt durch die Zimmer gerast und habe nach Kronleuchtern und grünen Teppichen gesucht.«
    Ich drehte ihm den Rücken zu und starrte auf den Waldweg. Verdammt! Ich hatte es so satt, über all das nachzudenken. Wie konnte es angehen, dass wir schon wieder bei diesem Thema gelandet waren?
    Entschlossen fuhr ich herum und schlang meine Arme um Lucians Hals. »Ich will mit dir im See schwimmen!«
    Lucian grinste, er begriff sofort. Er gab mir einen Kuss, dann biss er mir zärtlich in die Nase. »Ich weiß nicht, ob ich’s kann.«
    »Was

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