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Lucian

Lucian

Titel: Lucian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Abedi
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zum Garten der Frauen markierte. Der Turm war klein und weiß mit hübschen Giebeln und winzigen Fenstern. Für einen Moment fühlte ich mich an den Leuchtturm am Falkensteiner Ufer erinnert.
    Ich gelangte in eine wunderschöne Anlage mit riesigen Rhododendronbüschenund hellen Grabsteinen, auf denen bunte Blumen blühten. Die Frauen, die hier begraben wurden, hatten laut der Broschüre Hamburgs Geschichte mitgeprägt. Von Sebastians Vater wusste ich, dass die verstorbene Schauspielerin mehrere Jahrzehnte zum Ensemble des Hamburger Schauspielhauses gezählt hatte. Ich selbst hatte noch nie von ihr gehört, aber die zahlreichen Trauergäste, die sich um das offene Grab versammelt hatten, machten ziemlich deutlich, dass sie eine große Fangemeinde besessen hatte. Der Sarg war schon in die Erde gelassen worden. Berge von Blumen und bunten Kränzen säumten die Grabstelle. Kinder liefen umher, zwei Mädchen spielten Fangen, während die Erwachsenen in ihren dunklen Kleidern sich einreihten, um Abschied zu nehmen. Ein paar Leute weinten und links neben dem Grab stand ein alter Herr mit schlohweißem Haar. Ich weiß nicht, wieso, aber ich hatte sofort das Gefühl, dass er der Witwer war. Sein Gesicht war ganz ruhig, er wirkte gefasst, gelassen, aber in seinen Augen lag eine tiefe Traurigkeit.
    Ich wollte mich gerade nach dem Fahrer umblicken, mit dem ich im Anschluss die Gäste zu ihrem Bus geleiten sollte, als ich einen grauhaarigen Mann in einem altmodischen Anzug entdeckte. Er stand etwas abseits einer Eiche und sah hinauf in den Himmel, an dem sich gerade die Wolken lichteten.
    Es war Tyger. Ich zuckte zusammen. Was machte mein Englischlehrer hier? Hatte er die Schauspielerin gekannt? Ein Sonnenstrahl brach hervor und plötzlich erglühte alles in einem hellen goldenen Schein. Die Farben strahlten mit einem Mal so scharf und klar, und ich konnte mich nicht entscheiden, ob ich es schön oder schrecklich finden sollte.
    In diesem Moment richtete Tyger seinen Blick auf mich. Er lächelte. Dann hob er die Hände und begann zu klatschen. Ja, er applaudierte. Für einen Augenblick war die Menge der Trauernden wie erstarrt.Doch dann folgten die ersten seinem Beispiel, noch zögernd, dann fielen andere ein. Nach einer Weile applaudierten alle, in einem ruhigen, ehrfürchtigen Rhythmus. Mir schossen die Tränen in die Augen. Sie war Schauspielerin, dachte ich. Diese Frau, deren Namen ich nicht einmal kannte, hatte viele Jahre lang auf der Bühne gestanden. Das hier waren ihr letzter Vorhang und ihr letzter Applaus.
    Ich war nicht die Einzige, die weinte. Auch dem alten Herrn mit dem schlohweißen Haar rollten jetzt die Tränen über die Wangen. Seine Hände waren gefaltet.
    Als der Applaus verstummte und ich wieder zu der Eiche hinüberblickte, war Tyger verschwunden.
    Als ich mich am frühen Abend auf den Heimweg machte, war ich in Gedanken noch immer bei der Trauerfeier, sodass ich die Laute, die mir aus unserer Wohnung entgegenkamen, erst gar nicht deuten konnte. Ich lief ins Wohnzimmer und dort, am Boden vor der Wendeltreppe, lag Janne. Ihr Gesicht war schmerzverzerrt. Sie wimmerte. Spatz kniete vor ihr. Mit einem Satz war ich bei den beiden.
    »Ich bin gestürzt«, keuchte Janne. »Ich kann nicht . . . ich glaube . . . Scheiße!«
    »Ruf einen Krankenwagen, Rebecca«, sagte Spatz.
    Eine halbe Stunde später saßen wir im Behandlungszimmer des Hafenkrankenhauses. Meine Mutter hatte sich den linken Knöchel gebrochen und der Arzt wollte sie über Nacht dabehalten, um am nächsten Morgen zu operieren. Janne wehrte sich mit allen Kräften, aber die Entscheidung stand fest. Mit zwei bis drei Tagen Krankenhaus würde sie rechnen müssen.
    Ich musste mir ein Grinsen verkneifen. Auch wenn ich sofort ein schlechtes Gewissen hatte, fuhr mir durch den Kopf, dass es jetzt Janne war, die unter Arrest stand.
    Spatz und ich blieben bis kurz nach zehn bei ihr. Janne hatte eine Spritze gegen die Schmerzen bekommen. Sie lag in einem Doppelzimmer, aber das Bett am Fenster war leer. Es fühlte sich seltsam an, hier zu sitzen, wie nach einem erzwungenen Waffenstillstand. Janne sah furchtbar angespannt aus, ihre Hände nestelten unruhig an der Bettdecke herum. Bei jedem kleinsten Geräusch fuhr sie zusammen.
    Ich wusste, was in ihr vorging. Für meine kontrollwütige Mutter, die ständig in Bewegung war, musste dieser Ort ein leibhaftiger Albtraum sein. Auch wenn hier penible Ordnung herrschte – es war nicht die ihre.
    Spatz gab ihr Bestes,

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