Lucian
Spezialgummi geformt hatte, schminkte sie sie rötlich nach und tröpfelte mit einer kleineren Spritze künstliches Blut hinein.
»Iiiihh«, machte Dimo, als ihm die rote Flüssigkeit an der rechten Stirnseite herunterlief.
Suse kicherte. »Augen zu«, kommandierte sie. Sie verwandelte Dimos linkes Auge in ein blaulila Veilchen und pinselte ihm noch ein paar dekorative Schatten darunter.
Währenddessen lästerte Dimo über den Song von Linkin Park, der jetzt lief.
»Die gehen so was von gar nicht«, sagte er. »Klar kann man argumentieren, dass sich die Jungs auf ihre Stärken besinnen und deshalb auf Experimente verzichten. Aber wenn sie so weitermachen, mutieren sie zu einer Art Nu-Metal-Modern-Talking. Diese Mainstreamsuppe ist einfach nicht ehrlich. Wo bleiben die Ecken und Kanten? Wahre Schönheit ist nicht perfekt. So lautet jedenfalls meine bescheidene Meinung.«
Suse hielt in der Bewegung inne und warf mir einen Blick zu. Ich las ihre Gedanken, aber diesmal grinste ich nicht. Auch wenn Dimo vielleicht recht hatte, ich hasste es, wenn solche Pseudo-Profis ihre Urteile absonderten, als ob ausgerechnet sie es besser draufhätten. Ich griff nach dem Stern auf Suses Nachttisch, der das Titelthema Frauen unter dem Messer hatte und den meine beste Freundin gewiss nicht zufällig als Gutenachtlektüre ausgewählt hatte. Sie warf mir einen trotzigen Blick zu und presste ihre Lippen aufeinander.
»Hey«, sagte Dimo. »Stimmt es, dass deine Stiefmutter mit Filmstars zu tun hat? Kennt sie wirklich Angelina Jolie?«
Jetzt war ich es, die Suse anfunkelte, während sie verlegen mit den Achseln zuckte. Verdammt, sie wusste doch genau, wie sehr ich es hasste, wenn jemand mich auf Michelle ansprach.
»Du bist fertig, Dimo«, sagte sie, ehe ich etwas erwidern konnte. »Willst du dich sehen?«
Als Dimo sich von der Hollywoodschaukel erhob, pfiff ich anerkennend durch die Zähne. Suse verstand wirklich etwas von ihrem Handwerk. Am rechten Wangenknochen hing Dimos Haut in Fetzen.Aus seiner Nase troff getrocknetes Blut und das Veilchenauge und seine Stirnverletzung sahen zum Fürchten aus.
»Der Oscar für die beste Maske geht an dich, Schwesta«, sagte er, nachdem er sich ausgiebig im Spiegel betrachtet hatte.
»Jetzt du, Becky.« Suse strahlte mich an. »Willst du dich nicht umziehen?«
Ich zog die Augenbrauen hoch. »Äh«, sagte ich.
»Schon verstanden.« Dimo stand auf und griff nach seiner Bierflasche. »Dr. No wartet im Wohnzimmer. Rebecca, wenn deine Stiefmutter mal einen persönlichen Assistenten für Angeli. . .«
»Raus!«, rief Suse und drohte Dimo mit ihrer Spritze.
Als Dimo die Tür hinter sich geschlossen hatte, sagte sie: »Meine Eltern lassen sich scheiden.«
Ich klappte den Stern zu und vergaß, dass ich eben noch wütend auf meine Freundin gewesen war.
»Mensch, Suse«, sagte ich ehrlich betroffen und fühlte, wie mir mein schlechtes Gewissen einen Tritt versetzte. Ich war nicht die Einzige, die Probleme hatte, und ich schämte mich plötzlich, dass ich in der letzten Zeit ständig um mich selbst kreiste. »Das muss ganz schön wehtun.«
»Ja.« Suse fegte ihre Dosen und Tübchen mit einer Handbewegung in die Kulturtasche. »Es tut scheiße weh. Gestern Abend war mein Vater hier. Sie haben fünf Minuten über den Termin geredet und sich dann eine geschlagene Stunde um die Espressomaschine gezofft. Darum geht es? Nach dreiundzwanzig Jahren Ehe? Um eine verkackte Erspressomaschine?«
Ich dachte an Janne. Stellvertreterkonflikte nannte sie so was. Ein tiefer liegendes Problem wird auf etwas Banales übertragen, weil man sich über banale Dinge leichter aufregen kann, als über solche, die einem auf der Seele liegen. War der eigentliche Grund für JannesOhrfeige und den Hausarrest vielleicht auch ein tiefer liegendes Problem? Und wenn ja – wieso kannte ich es nicht? Verdammt, ich machte es schon wieder! Es ging jetzt nicht um mich, es ging um Suse! Ihre Augen schimmerten und ihre Unterlippe zitterte verdächtig.
»Mein Vater tut mir so leid«, flüsterte sie.
Ich drückte ihren Arm. »Nein«, sagte ich entschieden. »Du tust mir leid. Du kannst nämlich überhaupt nichts dafür. Es muss die Hölle für dich sein, das alles mitzumachen. Hör zu, wenn dir hier die Decke auf den Kopf fällt, dann kommst du einfach zu uns, okay? Und wenn du jemanden zum Ausheulen brauchst, hier bin ich.«
Suse nickte. Sie sah aus, als ob sie jeden Moment losweinen würde, aber dann holte sie Luft und riss sich
Weitere Kostenlose Bücher