Lucian
die Atmosphäre aufzulockern. Sie hatte aus dem Blumenladen unten bei der Aufnahme Jannes Lieblingsblumen besorgt, einen riesigen Strauß Magnolien.
Und sie redete, als ob Jannes Leben davon abhinge.
Zuerst erzählte sie von dem Treffen mit dem Künstler, das heute stattgefunden hatte. »Er glaubt, in Sachen Küchenschwämme gibt es tatsächlich noch Bedarf, und freut sich schon darauf, Putzfeen auf der Suche nach dem Glück in unserem Atelier begrüßen zu dürfen«, sagte sie mit einem Seitenblick auf mich und gab ihr schepperndes Lachen zum Besten, in das Janne und ich bemüht einfielen.
Nachdem sie die alte Maschinenfabrik, in der die Ateliers lagen, in allen Einzelheiten beschrieben hatte, kam die Beerdigung an der Reihe. Spatz hatte die Schauspielerin sehr bewundert. Sie hatte sie mehrfach in verschiedenen Rollen gesehen und sie wusste, dass sie auch eigene Theaterstücke geschrieben hatte. Auch das erzählte sie in aller Ausführlichkeit, bis sie endlich mit einem tiefen Seufzer aufgab. Spatz waren schlicht die Worte ausgegangen.
Nach einem quälenden Schweigen fragte Janne mich, ob in der Schule alles okay wäre.
Ich sagte: »Ja.«
Sie fragte, wie es Suse ginge.
Ich sagte: »Gut.«
Ich fragte, ob sie Schmerzen hätte.
Sie sagte: »Kaum.«
Ich fragte, ob sie noch etwas bräuchte.
Sie sagte: »Danke. Nein.«
Endlich erhob sich Spatz von ihrem Stuhl. »Es wird langsam Zeit«, sagte sie, was Janne und ich wie aus einem Mund bejahten.
Als wir draußen waren, holten Spatz und ich tief Luft, als wäre in Jannes Zimmer nur sehr wenig davon vorhanden gewesen.
Als ich am nächsten Tag meinen Kalender umschlug, leuchtete mir das kleine rote Kreuz entgegen. Es war der 31. Oktober und ich war so nervös, dass mir schwindelig wurde. Spatz holte mich von der Schule ab, und als wir zu Janne ins Krankenhaus kamen, war meine Mutter bereits aus der Narkose erwacht. Ihr linker Fuß war eingegipst und ihr Gesicht war spitz und blass.
»Hey«, sagte sie. »Wölfchen. Spatz. Wie schön, euch zu sehen.«
Ich setzte mich neben sie, nahm ihre Hand und warf einen Blick auf die Frau, die jetzt in dem anderen Bett am Fenster lag. Sie hatte einen Laptop auf dem Schoß und ein Handy am Ohr, von dem aus sie der Person am anderen Ende unablässig Anweisungen gab. Es ging um Immobilien, Topfpflanzen, Steuerunterlagen und einen Termin zur Botoxauffrischung.
Ich grinste und Janne rollte mit den Augen. »Die Tante macht mich fertig«, brummte sie leise.
Spatz hatte sich an Jannes Kopfende gesetzt. Sie strich meiner Mutter das Haar aus dem Gesicht und küsste sie auf die Stirn.
»Wie war die Operation?«, fragte ich. »Hast du Schmerzen?«
»Nicht dass ich wüsste«, sagte Janne. »Die haben mir was gegeben. Hunger hab ich.«
Ich lachte angespannt. »Kannst ja mal fragen, ob sie dich in die Küche lassen. Dann freuen sich die anderen Patienten.«
Janne seufzte. »Das wird noch dauern. Ich muss den Fuß hochlegen. Für die nächsten Wochen werdet ihr mich wohl bekochen müssen. Ich bin froh, wenn ich in die Praxis kann. Und wie sieht es bei euch aus? Macht ihr was Schönes heute Abend?«
Sie warf Spatz einen langen, eindringlichen Blick zu. Ich wusste, was sie damit sagen wollte, und biss die Zähne zusammen.
»Ich habe heute Nachmittag einen Termin bei meinem zukünftigen Vermieter in der Koppel«, sagte Spatz. »Wir wollen sehen, wie wir das Atelier aufteilen, und das kann dauern. Deine Tochter wird sich wohl allein beschäftigen müssen.«
Wir blieben noch eine gute Stunde, dann kam die Krankenschwester mit dem Essen. Brot und Aufschnitt, einem Joghurt, Orangensaft. Janne verzog das Gesicht. Die Frau neben ihr war über ihrem Laptop eingeschlafen.
Als ich Janne zum Abschied flüchtig küsste, hielt sie meine Hand fest. »Ich kann mich auf dich verlassen«, sagte sie. Es klang wie eine Drohung. Ich nickte.
Um kurz nach sieben machte sich Spatz fürs Theater fertig. An unserer Tür klingelte es alle paar Minuten Sturm. Kleine Hexen, Vampire und Teufel fragten nach Süßem oder Saurem und ich war froh, dass Janne noch vor ihrem Unfall für Vorrat gesorgt hatte. Bevor Spatz aus dem Haus ging, steckte sie ihren Kopf in mein Zimmer.
»Wenn ich nach Hause komme«, sagte sie, »werde ich sehr müde sein. Ich werde gleich ins Bett gehen. Wir sehen uns dann morgen zum Frühstück. In alter Frische. Richtig?«
Ich hätte Spatz küssen können. »Richtig«, sagte ich.
NEUN
Als Suse mir die Wohnungstür öffnete, brauchte ich
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