Lucian
Diskussion.
»Könnten wir jetzt bitte das Thema wechseln?«
»Klar«, sagte Sebastian. »Kein Problem. Ich will da eh nicht hin, glaub nicht, dass du groß was verpasst.«
Wir schwiegen, schoben uns Taco Chips in den Mund, kauten im Takt zu Read My Mind und plötzlich sagte Sebastian: »Im Sommer 1963 verliebte ich mich und mein Vater ertrank.«
Ich hielt mit Kauen inne und sah ihn erstaunt an.
»Salzwasser von Charles Simmons«, klärte Sebastian mich auf. »Es ist der erste Satz seines Romans und darin ist bereits der gesamte Inhalt enthalten. Das ist genial. Du weißt, worum es geht, und trotzdem brennst du vor Neugier weiterzulesen. Alle Fakten sind auf dem Tisch, du glaubst sie sofort, du ahnst, dass es um eine erste Liebe geht, und ich meine die richtige Liebe, groß und verhängnisvoll. Und du weißt, dass jemand sterben wird – nein, nicht irgendjemand, sondern der Vater des Erzählers. Einer liebt, einer stirbt. Beides hängt zusammen. Du spürst, dass derjenige, der die Geschichte erzählt, an ihrem Ende steht und dort ein anderer ist, als er am Anfang war. Im Grunde weißt du schon alles, aber du siehst es noch nicht. Als ob derAutor mit seinem ersten Satz eine Tür öffnet und dich in einen großen Raum schiebt, in dem alles dunkel ist. Du ahnst, wo die Möbel stehen. Hier ein Tisch, dort ein Bett. Du siehst ihre Schatten, aber nicht ihre Farben, ihre Konturen. Deine Gedanken wandern, aber sie kennen die Richtung noch nicht. Das ist großartig. Das würde ich auch gerne können.«
Ich sah Sebastian an. »Schreiben?«
»Ja.«
»Hast du es versucht?«
Sebastian schob sich eine Ladung Tacos in den Mund. Der Song lief immer noch.
Can you read my mind
The good old days, the honest man
The restless heart, the Promised Land . . .
»Themawechsel«, sagte Sebastian.
Ich schob Tacos nach. »Okay. Worüber willst du sprechen?«
Sebastian grinste mich an. »Über den Käse an deinem Mundwinkel. Oder darüber, wie wir ihn am besten entfernen.«
»Wo denn?« Ich runzelte die Stirn und ließ meine Mundwinkel tanzen. »Rechts oder links?«
Sebastian nahm mein Kinn in seine Hand und drehte mein Gesicht ganz leicht nach links, gerade so weit, dass sich unsere Blicke noch trafen.
I got a green light
I got a little fight
I’m gonna turn this thing around
Can you read my mind . . .
Sebastian lächelte, aber in seinen Augen flackerte es. Ängste und Wünsche mischten sich in seinem Blick. Dann beugte er sich vor, bis sein Mund dicht an meinem war. Er roch nach Tacos und nach sich selbst, diesem so vertrauten Sebastian-Duft, an dem ich ihn unter Tausenden erkennen würde.
Meine Hand lag auf seiner Brust, ich fühlte, wie sein Herz klopfte, laut und schnell. Ich hielt Sebastian mit meinen Fingerspitzen auf Abstand.
Can you read my mind . . ..
»Mach es nicht kaputt«, flüsterte ich. »Bitte, mach es nicht kaputt. Gib mir noch ein bisschen Zeit.«
Sebastian presste die Lippen aufeinander. Ich spürte seine Enttäuschung, als wäre sie greifbar, und ich spürte meine eigene Traurigkeit, die tiefer ging, als mir lieb war.
Sebastians Mund öffnete sich, aber ehe er etwas sagen konnte, ging die Tür auf.
»Dein Handy hat – ups . . . Entschuldigung!«
Janne stand im Zimmer. Sie starrte auf mich und Sebastian, wir fuhren auseinander und ich wollte gerade trotzig bemerken, dass mein Hausarrest nicht bedeutete, dass ich keinen Besuch empfangen durfte, als ich feststellte, dass Janne über das ganze Gesicht strahlte. Sie sah total erleichtert aus.
Ich drückte auf die Stopptaste, sodass die Musik jäh abbrach.
»Tut mir leid«, sagte Janne hastig. »Wie blöd von mir, einfach reinzuplatzen. Hallo Sebastian. Dein Handy hat geklingelt, Rebecca. Es ist Sebastians Vater. Willst du ihn sprechen?«
Ich riss ihr das Telefon aus der Hand. Ich konnte nicht fassen, dass Janne einfach an mein Handy ging und dann auch noch so tat, als ob nichts dabei wäre.
Sebastians Vater hatte einen Job für mich. Eine Hamburger Schauspielerin war gestorben, sie würde am Donnerstag auf dem Ohlsdorfer Friedhof beerdigt werden. Die anschließende Trauerfeier, die sein Cateringservice ausrichten sollte, würde in der Villa der Verstorbenen stattfinden, aber aufgrund des Parkplatzmangels hatte Sebastians Vater einen Eskortservice angeboten. Ich sollte die Gäste nach der Beerdigung zum Bus bringen und bei der Trauerfeier als Kellnerin mitarbeiten.
Eigentlich wollte ich absagen, aber Janne, die gerade im Flur verschwand, gab mir
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