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Lucian

Lucian

Titel: Lucian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Abedi
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zusammen.
    »Ach, Becky«, sagte sie mit einem schiefen Lächeln. »Danke, okay? Und jetzt musst du dich schleunigst umziehen!« Sie griff nach der Tüte mit meinem Kleid, doch dann fiel ihr noch etwas ein. »Warte, du wolltest doch Sebastian anrufen.«
    Gehorsam zog ich mein Handy aus der Tasche. »Ich schick ihm eine SMS«, sagte ich.
    Spatz hat mich entlassen. Gehe zur Party. Kommst du mit? R. Die Antwort kam postwendend. Hab schon was vor. Viel Spaß. S.
    »Und?«
    »Er kann nicht.«
    »Na, dann.« Suse warf mir einen Blick zu. »Sehr traurig scheinst du nicht zu sein . . . Becky?« Sie fasste mich am Handgelenk. »Auch ich habe Ohren, das weißt du schon noch, oder?«
    »Ja. Klar.« Ich nickte, eine Spur zu heftig.
    »Du machst mir nichts vor«, sagte Suse. »Du verschweigst mir was. Und ich finde das nicht gut, aber ändern kann ich es nicht. In Ordnung. Dann lass mal sehen, was wir aus dir machen.«
    Sie zog das Kleid aus der Tüte. Richtig überzeugt schien sie nochimmer nicht von meiner Wahl zu sein, aber als ich mich eine halbe Stunde später vor ihrem Spiegel drehte, befand sie anerkennend:
    »Der Wald ist nicht genug, Babe. Gott, bist du schön!«
    Ich lächelte mein Spiegelbild an. Und als ich die Augenmaske aufsetzte, kam ich mir wirklich vor wie ein fremdes Wesen aus der Märchenwelt.
    Suse hatte mir das Gesicht bleich geschminkt, blutroten Lippenstift aufgetragen und meine schwarzen Haare so lange mit der Bürste bearbeitet, bis sie mir glatt und glänzend über die Schultern fielen. Dann hatte sie mir die silbernen Kämme hineingesteckt und zum Schluss ein paar Haarsträhnen mit dem Lockenstab aufgedreht.
    Auf meiner linken Wange prangte eine feine Schnittwunde mit Blutsprenkeln, das einzige Halloweendetail, auf dem Suse bestanden hatte. Sich selbst hatte meine Freundin noch ein paar Brandblasen und eine Schusswunde in die Stirnmitte geschminkt, aus der eine blutige Patronenhülse ragte. Ihre Augen waren mit pechschwarzem Kajal umrandet.
    »Fett«, sagte Dimo, als wir ihn im Wohnzimmer vom Fernseher holten. »Ihr zwei seht hammermäßig aus. Zischen wir los? Ist schon gleich halb elf.«
    Der Club befand sich im vierten Stock des ehemaligen Flakbunkers. Offizieller Einlass war natürlich ab achtzehn, aber Dimo jobbte bei Amptown, dem Musikshop in der ersten Etage, und kannte den Türsteher, sodass wir ohne Probleme durchkamen.
    Die Veranstalter hatten den ohnehin gruftigen Club mit seinen Sälen und Turmzimmern in ein Gemäuer des Grauens verwandelt. Durch kniehohen Nebel wateten wir vorbei an staubigen Zerrspiegeln, aufgespießten Totenköpfen und mittelalterlichen Folterwerkzeugen in den ersten Saal, wo der Maskenball schon in vollem Gangwar. Latex und Lack schienen auf der Tages- oder besser gesagt Nachtordnung zu stehen. Suse stellte sichtlich enttäuscht fest, dass sie weder die einzige noch die gewagteste kranke Schwester des Abends war. Ein halbes Dutzend ihrer Art lief uns schon in den ersten Minuten über den Weg. Ärzte des Grauens waren ebenfalls reichlich vorhanden. Natürlich auch Gothics und Grufties und jede erdenkliche Sorte anderer Kreaturen. Freakige Zombies, Werwölfe, Vampire. Hexen in Strapsen, Hexen mit Peitschen, Drag Queens mit Netzstrümpfen, böse Feen in wallenden Kleidern.
    In einem riesigen von der Decke herabhängenden Käfig hockte eine Hannibal-the-Cannibal-Attrappe und auf der Bühne tobte sich irgendeine Neo-New-Wave-Band aus.
    Der Lärmpegel war atemberaubend. Die Musik drang mir sofort unter die Haut, vibrierte in meinen Knochen, sogar am Zahnfleisch spürte ich sie.
    Ich schlängelte mich durch die Menschenmassen zur Bar, über der ein gigantisches Kreuz aus brennenden Kerzen schwebte. Ein Kellner im Pinguin-Outfit erkundigte sich nach meinen Wünschen. Ich bestellte eine Cola und verzog verärgert das Gesicht, als mich der Pinguin mitleidig angrinste.
    »Wahnsinn«, brüllte Suse, die sich neben mir auf dem Barhocker niederließ. »Hier geht’s ja ganz schön ab. Hast du Dimo gesehen?«
    »Nein.« Wenigstens hatte ich jetzt einen Grund, die Menge abzusuchen.
    »Da!« Ich zeigte auf die rechte Seite der Tanzfläche. Dimo lehnte an einer Säule, die zu einem Galgen umgestaltet worden war, und versuchte, sich mit Händen und Füßen einem Amy-Whinehouse-Double verständlich zu machen. Als die beiden auf uns zukamen, erkannte ich, dass es der Schlagzeuger aus seiner Band war. Sein Name war Leroy. Er beugte sich mit seinen riesigen falschen Brüsten über denTresen,

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