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Lucian

Lucian

Titel: Lucian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Abedi
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Rand der Tanzfläche. Es glotzte aus seinen Klimperaugen zu uns herüber, dann kitzelte es mit seiner Riesenmöhre den Nacken einer Latexhexe, die empört nach ihrer Peitsche griff.
    Ich lachte, Suses Augen blitzten, sie wirbelte herum, ihre langen Locken flogen durch die Luft, Schweißperlen trafen mich am nackten Arm. Auch meine Haare waren nass geschwitzt, ich hatte die Kämme herausgezogen. Schweiß rann meinen Rücken herunter, rann über mein Dekolleté zwischen meine Brüste.
    Die Musik wurde immer aggressiver, kreiste uns ein, irgendwann gab mir Suse ein Zeichen, deutete zwischen ihre Beine, verzog denMund, sie musste aufs Klo, aber ich nicht, ich wollte hierbleiben und tanzen.
    Das Stück war endlos, ich breitete die Arme aus, drehte mich im Kreis, warf den Kopf in den Nacken und dann war er da.
    Er stand hoch oben auf dem Balkon. Seine Augenpartie war verdeckt von einer schwarzen Vogelmaske mit einem langen, gekrümmten Schnabel. Das Kinn, die Wangenknochen und der Mund schienen hell darunter hervor. Er neigte seinen Kopf zu mir herab. Es hatte fast etwas von einer Verbeugung, aber es lag auch wieder diese leise Ironie darin. Langsam hob er seine Hand zum Gruß.
    Ich dachte: Er ist hier wegen dir, nur wegen dir.
    Ich schloss die Augen und in mir wurde es warm. Ich fühlte, wie er näher kam, herunter zu mir auf die Tanzfläche, und als ich die Augen öffnete, stand er nur wenige Meter von mir entfernt.
    Seine Vogelmaske funkelte gespenstisch im Licht der Scheinwerfer. Er trug den langen schwarzen Mantel aus der ersten Nacht. Der schäbige Stoff war über und über mit weißen Federn besetzt, als hätte Frau Holle ihr Kissen über ihm ausgeschüttelt.
    Wie in Zeitlupe gingen wir aufeinander zu, durch die zuckende Menge, die immer aggressiver wurde, einen ganz anderen Rhythmus vorgab. Wir bewegten uns langsam, wie unter Wasser.
    Unsere Finger berührten sich, dann nahm Lucian meine Hände. Er zog mich an sich und so blieben wir einen Moment stehen, Brust an Brust, Herzschlag an Herzschlag.
    Ich dachte, dass er so fremd war, so unglaublich fremd – und so schrecklich vertraut. Ich atmete den Geruch seines Mantels ein, roch Staub, Erde und einen Hauch getrockneten Klebstoffs, mit dem Lucian wahrscheinlich die Federn befestigt hatte. Ich vergrub das Gesicht in dem dunklen Stoff und plötzlich musste ich niesen.
    An dem leichten Vibrieren in Lucians Brust erkannte ich, dass erlachte. Seine Hände lagen auf meinem Rückgrat, seine Finger wanderten tastend und forschend über meine Wirbel. Ganz langsam begannen wir, uns zu drehen, obwohl die Musik genau das Gegenteil forderte. Inmitten der wild tanzenden Menge kreisten wir nur um uns selbst, in völligem Einklang.
    »Hallo«, murmelte Lucian nach einer gefühlten Ewigkeit in mein Ohr. »Hallo, Schneewittchen. Du hast mir gefehlt.«
    »Du mir auch.«
    Wie sehr, das konnte ich erst jetzt zugeben. Zum ersten Mal gestand ich es mir wirklich ein, ohne mich dagegen zu wehren.
    Über Lucians Schulter hinweg sah ich Suse. Sie kam zurück auf die Tanzfläche, Dimo im Schlepptau. Suchend streifte ihr Blick über die Menge. Rasch duckte ich mich und zog Lucian in die andere Richtung.
    »Lass uns woandershin. Okay?«
    Auf der dritten, obersten Etage des Clubs waren die Balkone. Von hier konnte man auf die Tanzfläche schauen. Ich sah das weiße Riesenkaninchen. Unbeholfen tapste es von der Tanzfläche, auf der Suse und Dimo inmitten der brodelnden Menge umherwirbelten.
    Suses wilde Locken peitschten durch die Luft. Sie warf den Kopf in den Nacken und lachte. Ich war froh, dass sie und Dimo von hier oben klein und fast unerreichbar schienen. Ich wollte nicht, dass sie mich mit Lucian sahen, Maske hin oder her.
    Jenseits der Balkone lagen verschiedene kleine Räume, auch hier lief Musik, aber sie war ruhiger. Hier wurde gegessen, gechillt, geknutscht, getrunken, gesprochen. Es gab eine große Dachterrasse mit Wärmeleuchten und kleinen Stehtischen, auf denen Aschenbecher standen. Dorthin gingen wir, immer noch Hand in Hand. Zwei Hexen, ein Freddy Krueger und drei Zombies standen auf der linkenSeite und rauchten. Wir stellten uns nach rechts, dicht an eine der Lampen. Die Luft war kalt, aber die Lampe wärmte.
    Lucian wärmte.
    Er ließ meine Hände los, trat einen Schritt zurück, betrachtete mich.
    »Ich kann nicht aufhören, dich anzusehen«, sagte er leise.
    Ich schluckte und fühlte, wie die Wärme zu Hitze wurde und mir plötzlich in den ganzen Körper stieg.
    Auch ich

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