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Lucian

Lucian

Titel: Lucian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Abedi
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orderte einen Wodka Lemon und prostete mir mit gespreizten Fingern zu.
    »Sag mal, heißt deine Mutter eigentlich Marijanne Wolff?«, schrie er in mein Ohr.
    Was sollte das denn? Ich nickte irritiert.
    Leroy grinste und schob sich die blonde Perücke zurecht. »Meine Schwester hat vor drei Monaten eine Therapie bei ihr angefangen. Depressionen, Selbstmordgedanken, die ganze Nummer. Sie lag nur noch im Bett und hat geflennt. Aber deine Mutter scheint es draufzuhaben. Letzte Woche hat meine Schwester zum ersten Mal wieder . . .«
    Der Rest des Satzes wurde von der Musik verschluckt. Leroy zuckte lachend die Schultern, zog sein Dekolleté wieder in Position und zeigte fragend auf mein leeres Glas. Ich schüttelte den Kopf. Nervös scannte ich die Menge ab. Von hier aus hatte man den Eingang ziemlich gut im Blick. Ständig strömten neue Kreaturen in den Saal. Ein ganzer Trupp von Dementoren fiel über die Tanzfläche her, dazwischen mischten sich Todesengel im Fetzenlook, Screaming Sculls, eine Handvoll Michael Meyers, mehrere Mönche und natürlich Sensenmänner in sämtlichen Variationen.
    Aber kein Lucian. Es war verrückt, aber genau wie ich jedes Mal fühlte, dass er da war, fühlte ich es auch, wenn er nicht da war.
    Zwischen zwei Stücken stieß mir Suse in die Seite. »Guck mal da«, kreischte sie. »Wie geil ist das denn?«
    Ich folgte Suses Finger und prustete los. Irgendein Scherzkeks hatte sich als weißes Riesenkaninchen verkleidet. In einem Plüschkostüm aus weißem Fell mit fleischfarbenen Löffelohren und riesigen grünen Klimperaugen hoppelte das Kuschelmonster über die Tanzfläche. Im Arm hielt es eine gigantische Möhre. Nachdem es eine Weile zwischen den Dementoren und Todesengeln herumgewuselt war, kam eszur Bar, legte die Möhre auf den Tresen, kramte in seinen Felltaschen und zog einen Notizblock nebst Stift hervor. Es kritzelte auf dem Block herum, legte den Kopf schief, nickte, dann tapste es auf uns zu und hielt mir den Block vor die Nase.
    Ich las:
    Willst du
    a) an meiner Möhre knabbern?
    b) mit mir auf die Tanzfläche hoppeln?
    c) mit meinem Puschel kuscheln?
    d) Verstecken spielen?
    Zutreffendes bitte ankreuzen!
    Oh mein Gott. Auf diese Anmache hatte ich nun wirklich keine Lust. So was traute sich der Ärmste wahrscheinlich auch nur, weil niemand seine wahre Visage kannte. Ich kreuzte d) an und schrieb in Klammern dahinter: Du suchst zuerst. Mach die Augen zu und zähl bis eine Million.
    Jetzt hatte ich wenigstens das Stichwort für meinen Abgang. Ich gab Suse ein Zeichen, dass ich mich noch ein bisschen umschauen wollte, aber weil Leroy und Dimo in ein Gespräch oder besser gesagt Gebrüll vertieft waren, heftete sie sich an mich.
    Wir drängten uns durch einen langen Flur die Treppen hoch, streiften durch Gänge und Nischen, vorbei an knutschenden Pärchen, Gruppen, Einzelnen, Verlorenen, Gelangweilten, Zappelnden, Sitzenden, Suchenden.
    Wo war er? Wo war Lucian? Ich wurde immer nervöser.
    Der zweite Saal war noch größer als der erste. Auf der rechten Seite war eine riesige Leinwand aufgespannt, gerade lief das Midnight-Madness -Video der Chemical Brothers: Ein Disco-Gollum im goldenen Glitzeroutfit kletterte aus einer Mülltonne mit der Aufschrift Commercial Waste und schwang sich wie ein durchgeknallter Superman auf die Dächer der nächtlichen Häuser. Vor der Leinwand und auf der Tanzfläche tummelten sich Geister, Gravelords und andere Wesen des Grauens. War Lucian einer von ihnen? War er überhaupt da? Würde er da sein?
    Die Tanzfläche war wie ein Theater von hohen Balkonen umgeben, über denen man die Decke nur erahnen konnte. Ich suchte nach einer Treppe, die weiter nach oben führte, aber Suse packte mich am Arm und zog mich auf die Tanzfläche, hinter der zwei DJs ihren Dance-and-House-Mix zum Besten gaben.
    Ohrenbetäubendes Ticken, ein Stöhnen, ein Schrei, die Musik holte Atem, einen endlos langen, tiefen Zug. Ein Trommelwirbel, dann nur noch Bässe, dröhnend und hämmernd ergriffen sie Besitz von mir. One night in Bangkok and the world is your oyster . . . Es war ein wilder, aggressiver Remix des alten Discosongs. Ich fing an zu tanzen. Ich warf mich hinein, schloss die Augen und ergab mich dieser dumpfen Trance, die alles Denken ausschaltete. Der hämmernde Rhythmus war das Einzige, auf das ich mich konzentrieren musste, das Einzige, was zählte, hier und jetzt.
    One night in Bangkok, one night, one night . . . Ich blinzelte und erhaschte das weiße Kaninchen am

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