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Lucian

Lucian

Titel: Lucian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Abedi
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zog mich zu einem der Zimmer ganz am Ende des Flurs. Als ich die glatte, warme Haut seiner Hand fühlte, stockte mir der Atem. Es war unfassbar, wie stark dieses Gefühl war. Unwillkürlich drückte ich Lucians Hand fester, aber da entzog er sich mir. Er öffnete seine Zimmertür und deutete auf das Bett.
    »Setz dich«, sagte er. »Ich hol was für dein Gesicht.«
    Als ich mich auf dem Bett niederließ, zitterte ich am ganzen Körper, aber nicht wegen meiner Schläfe, die jetzt wieder neu zu bluten begann. Ich hatte diese Form von Aufregung noch nie erlebt. Ich kannte das Gefühl nicht, das meine Gehirnzellen zu einem kläglichen Klumpen zusammenzuschmelzen schienen, und ich ärgerte mich darüber, dass es so übermächtig war.
    Das Zimmer lag unter dem Dach, durch die Fenster schien die Abendsonne. Die Wände waren in einem hellen Blau gestrichen und an der Wand neben der Tür hing ein gemaltes Porträt von einer jungen Tänzerin. Ansonsten befand sich kaum etwas Persönliches in dem Raum, nur auf dem Korbstuhl lagen ein paar Klamotten und neben Lucians Bett auf dem Nachttisch entdeckte ich Jannes Buch über Träume. Ich starrte es an wie ein giftiges Insekt.
    »Okay.« Lucian war zurück ins Zimmer gekommen. Er kniete vor mir nieder, was meine Aufmerksamkeit abrupt von dem Buch losriss. Mein Herz stolperte und ein Kribbeln durchfuhr mich von den Fußspitzen bis zum Scheitel. Als Lucian vorsichtig mit einem feuchten Waschlappen über meine Wunde tupfte, biss ich die Zähne zusammen.
    »Tut das weh?«, fragte er besorgt.
    Ja, dachte ich. Es tat weh. Aber nicht die Wunde. Es tat weh, diesen Abstand auszuhalten. Und das Wissen, dass wir zum ersten Mal ganz allein waren, half auch nicht wirklich.
    Lucian sah auf meine Schläfe und runzelte die Stirn. Seine ironische Maske schien zu bröckeln. Ich blinzelte benommen. Der Drang, ihn an mich zu ziehen, war unwiderstehlich. Ich wich zurück, aber es war, als würde ich versuchen, mich der Kraft eines gigantischen Magneten zu widersetzen.
    Meine Güte, das war doch lächerlich. Hier saß ich, auf Lucians Bett,tausend Fragen brannten mir auf der Seele, in meinem Bauch flackerte noch immer die Wut über dieses Mädchen in der Bar und alles, was ich denken konnte, war: Küss mich. Nimm mich in den Arm. Mach mit mir, was du willst.
    War ich geistesgestört? Hatte ich zu viele schnulzige Liebesfilme gesehen?
    Lucian fuhr fort, sich meiner Stirn zu widmen. Mit ruhigen, konzentrierten Bewegungen tupfte er meine Haut ab und klebte schließlich ein Pflaster auf die Stelle.
    »Das sollte reichen«, sagte er knapp. »Willst du was trinken?«
    Er deutete auf das Wasserglas, das er mitgebracht hatte. Ich nickte stumm, nahm einen großen Schluck und dann sagte ich es einfach.
    »Ich kenne die Autorin.« Ich zeigte auf das Buch und augenblicklich wurde Lucians Miene wieder starr.
    »Das habe ich bemerkt«, entgegnete er trocken. Er erhob sich vom Boden, nahm die Klamotten von dem Korbstuhl, warf sie achtlos in eine Ecke und setzte sich.
    »Warum warst du dort?«, fragte er kühl. »Und was sollte das vorhin mit deinem Vogel? Wieso erzählst du mir das?«
    Diesmal hielt ich die Antwort auf seine Frage zurück.
    »Du hast mich nicht verraten?«, tastete ich mich vorsichtig heran.
    »Du hast ihr nichts davon gesagt, dass ich im Hausflur stand?«
    »Nein.« Feindselig sah mich Lucian an. »Hab ich nicht. Aber ich will wissen, was du dort verloren hattest. Sag schon. Was wolltest du da?
Hast du mich verfolgt?«
    Ich räusperte mich. Ich wusste nicht, wo ich anfangen sollte.
    »Diese Frau, deine . . . Therapeutin . . .«, setzte ich an. Ach, Scheiße! Ich verschränkte die Arme vor der Brust. »Mein Name ist Rebecca«, sagte ich. »Rebecca Wolff.«
    Lucian zuckte zurück, als ob ich ihn geschlagen hätte.
    »Das heißt . . .«
    Ich nickte. »Marijanne Wolff ist meine Mutter.«
    Lucian sprang so heftig auf, dass der Stuhl umkippte. Er ballte die Fäuste so fest, dass seine Knöchel weiß hervortraten.
    »Nein«, presste er hervor.
    »Sie ist meine Mutter«, wiederholte ich. »Ich hab es nicht gewusst.«
    »Was?« Höhnisch sah er mich an. »Du wusstest nicht, dass Marijanne Wolff deine Mutter ist?«
    »Ich habe nicht gewusst, dass sie deine Therapeutin ist! Sie hat mir nichts gesagt. Kein einziges Wort.«
    »Das glaubst du doch selbst nicht!« Lucian schlug so heftig gegen den Stuhl, dass er quer durchs Zimmer flog. Und der Blick, mit dem er mich ansah, kam mir vor, als ob er mich am liebsten

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