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Lucian

Lucian

Titel: Lucian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Abedi
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Therapeutenmutter hatte sich nicht eine Sekunde um die Gefühle ihres Patienten geschert. Statt Lucian zu helfen, hatte sie ihn ausgehorcht, sogar unter Hypnose.
    Ich sah auf meine Hand. Der Nagel an meinem Ringfinger war eingerissen. »Der Traum, als du mit mir . . .«, ich schluckte, » . . . im Bettgelegen hast. Die Frau, die plötzlich in der Tür stand und die du um ein Haar erkannt hättest. Das war meine Mutter. Während deiner Hypnosesitzung . . .«
    Ich sah ihn an und merkte, dass es völlig egal war, was ich sagte, ich würde nicht zu ihm durchdringen. Ausgerechnet jetzt, wo er mir näher war als je zuvor, gab er mir keine Chance.
    Als Lucian sprach, war seine Stimme leise und fremd. »Hör zu. Ich habe es satt. Endgültig. Mir ist es scheißegal, warum ich von dir träume, Zukunft oder Vergangenheit. Ich verzichte. Sag deiner Mutter, sie soll zur Hölle fahren. Wenn sie ihr kleines Mädchen beschützen will, dann sollte sie dich besser einsperren. Und wenn sie glaubt, sie hat etwas gegen mich in der Hand, dann hat sie sich geschnitten. Ich verschwinde. Irgendeinen Ort wird es ja wohl geben, an den du mir nicht folgen kannst. Und jetzt hau ab.«
    Die letzten Worte spuckte er voller Verachtung aus. Er ging von der Tür weg und hielt sie auf. »Raus. Na los. Wird’s bald? Raus!«
    Ich stand da wie gelähmt.
    Ohne noch etwas zu sagen, verließ Lucian das Zimmer. Kurz darauf setzte ich mich in Bewegung. Ich fühlte nichts, keine Schmerzen mehr, kein Zittern, alles war taub.
    Ich taumelte durch den langen Flur, stieß blind vor Tränen die Wohnungstür auf und stolperte die Treppen hinunter. Vor der Haustür blieb ich stehen. Ich legte meine Hand auf die Klinke, aber ich schaffte es nicht, sie herunterzudrücken. Es war nicht mal Willenskraft, die mir fehlte, es kam mir eher so vor, als wäre meine Hand von meinen Gehirnfunktionen abgetrennt.
    Ich drehte mich um und ging den ganzen Weg wieder zurück nach oben. Als ich im fünften Stock ankam, rang ich nach Luft, als wäre ich gerade auf den Mount Everest gestiegen. Auf dem Klingelschild stand kein Nachname, sondern der Name einer Firma: Eternal Fonds .
    Ich klingelte nicht, ich klopfte nicht, ich gab keinen Laut von mir. Ich lehnte mich einfach nur mit der Stirn gegen das kühle Holz.
    Als die Tür aufgerissen wurde, wäre ich fast vornübergefallen. Lucian packte mein Handgelenk und zog mich mit einer groben Bewegung in die Wohnung. Mit der anderen Hand knallte er die Wohnungstür zu und dann drückte er mich gegen die Wand. Er hielt mich an den Schultern fest und ich merkte, dass er am ganzen Körper zitterte.
    Er sah mich nicht an, sein Blick heftete sich auf einen unsichtbaren Punkt neben meinem Kopf und in seinen dunklen Augen flackerte pure Verzweiflung. Seine Hände drückten noch fester zu und für einen Moment dachte ich, dass er mich schlagen würde. Aber seltsamerweise löste dieser Gedanke keine Angst in mir aus. Ich presste mich nur noch dichter an seine Brust, um zu fühlen, wie sich die Rippen unter seiner Haut hoben und senkten, immer heftiger, immer schneller, als tobte ein Sturm darin. Dann löste sich sein Blick von der Wand, noch immer lag das Flackern hinter seinen Augen, aber er sah mich an. Und dann gab er auf.
    Es war kein Kuss. Es war wie das Ergebnis eines wilden Kampfes, der endlich entschieden war. Unsere Lippen fanden sich blind, ein Keuchen ertönte, ob von ihm oder mir, wusste ich nicht.
    Ich schloss die Augen und griff nach seinen Händen, strich an ihnen empor zu den Armen, weiter zu den Schultern, zum Hals, den Haaren, so dicht, so weich, weiter zu den Ohren, den Wangen, den winzigen Stoppeln darauf, die sich anfühlten wie feiner Sand. Seine Hände waren in meinem Haar, in meinem Nacken, sie klammerten sich an mich. Noch immer hatte ich die Augen geschlossen, ich wollte nichts sehen, nur fühlen, mich auflösen, in dieser Wärme, dieser Ruhe, in ihm – in uns. Und ich spürte, dass es ihm genauso ging.
    Nach einem endlosen Moment legten sich seine Finger um meine und er schob mich von sich, sanft, bestimmt.
    »Hey«, hörte ich seine leise, heisere Stimme. »Hey. Schau mich an.«
    Seine Finger wanderten zu meinem Gesicht, er umschloss es mit beiden Händen.
    »Hey.«
    Wie in Zeitlupe öffnete ich die Augen.
    »Ich möchte dir etwas zeigen«, sagte er. »Bist du bereit?«
    Ich sah ihn an. Er ließ mich los, hob seine Hände und schob sie mir mit dem Handrücken nach außen entgegen, Millimeter für Millimeter in einer

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