Lucian
kannst?«
»Wieso ich?« Lucian lachte leise. »Wer sich gerade aus dem Staub machen wollte, bist ja wohl du.«
»Stimmt«, sagte ich. »Ich sollte dich in Ruhe lassen. Schon vergessen?«
»Scheinbar gelingt dir das nicht, ohne dich in Schwierigkeiten zu bringen.« Lucian versuchte, es wie einen Witz klingen zu lassen, aber er scheiterte kläglich und ich merkte, wie unfassbar froh mich das machte. Er stand auf.
»Meiner Freundin geht es gut«, wandte er sich an den Autofahrer. »Ich glaube, wir brauchen keinen Krankenwagen.« Ich nickte, biss die Zähne zusammen und streckte die Hand aus. Lucian half mir hoch.
»Meiner Freundin? Das hat vorhin aber anders geklungen«, sagte ich leise. Zu dem Fahrer sagte ich: »Tut mir leid. Ich hoffe, Ihrem Wagen ist nichts passiert?«
»Schon gut«, sagte der Mann. »Aber das nächste Mal pass bitte auf,bevor du vor ein fahrendes Auto läufst, okay? Nicht nur du bist mit einem Schrecken davongekommen.«
»Versprochen«, sagte ich und dachte wieder an Tyger.
Lucian hob meinen Rucksack, der mir beim Sturz aus der Hand gefallen war, von der Straße auf, schulterte ihn und legte meinen Arm um seine Schulter, und obwohl mein Kopf dröhnte und meine Beine noch immer zitterten, fühlte ich mich, als hätte mir jemand eine starke Droge oder ein Medikament gegeben.
Aus der Bar waren jetzt ebenfalls Leute gekommen, auch Sid, wie Lucian die Kellnerin genannt hatte. Sie hatte die Hände in die Hüften gestemmt und sah erbost zu uns herüber. Am liebsten hätte ich ihr wie ein kleines Mädchen die Zunge rausgestreckt.
»Komm«, sagte Lucian. »Lass uns weg von hier. Ich bring dich zu mir nach Hause. Da sind wir in Sicherheit.«
»Vor wem?« Ich konnte mir die Bemerkung nicht verkneifen. »Vor meinen Freunden oder vor deiner Freundin?«
Auf diese Frage erhielt ich keine Antwort.
SECHZEHN
Lucian wohnte im Holzdamm, ganz in der Nähe der Bar. Es war ein schöner Altbau, nicht unähnlich dem Haus in Eimsbüttel, in dem Janne ihre Praxis hatte.
»Bist du okay?«, fragte Lucian noch einmal, als er mir die Haustür aufhielt.
Ich nickte. Meine Hüfte tat immer noch verdammt weh, aber gebrochen oder verstaucht hatte ich mir definitiv nichts und das Schwindelgefühl hatte zum Glück auch nachgelassen. Ich strich mir das Haar aus der Stirn und zuckte zusammen, als ich Blut an meinen Händen sah, was jetzt auch Lucian erschrocken zur Kenntnis nahm.
»Lass mal sehen.« Er kam dicht an mich heran, strich mir vorsichtig das Haar aus der Stirn und musterte meine Wunde.
»Sieht schlimmer aus, als es ist«, sagte er. »Wir müssen in den fünften Stock. Schaffst du es bis nach oben?«
»Ja, klar.« Entschlossen humpelte ich an Lucians Seite die Treppen hoch, doch als wir oben ankamen, war ich ziemlich fertig. Lucian schloss die Tür auf und schob mich vor sich in die Wohnung. Als ich eintrat, hielt ich verdutzt inne.
»Was ist?«, fragte Lucian.
»Nichts«, entgegnete ich verwirrt. Aber irgendetwas kam mir bekannt vor. Es war der Geruch. Ich wusste nicht, mit wem ich ihn in Verbindung bringen sollte, aber ich war ganz sicher, dass er nicht zu Lucian gehörte.
Ich sah mich um. Was ich erwartet hatte, war eine Absteige, irgendein schäbiges Loch in einer schäbigen Gegend, aber dass diese Wohnung das genaue Gegenteil war, zeigte schon der breite Flur mit dem glänzenden Holzboden. Hinter lackierten Flügeltüren lagen herrschaftliche Räume mit hohen, stuckverzierten Decken. Durch die Fenster fiel die Abendsonne, und soviel ich sehen konnte, war die Einrichtung ziemlich stilvoll, riesige Regale voller Bücher, ein Kamin und antike Möbel – deren Preislage unsere Flohmarktmöbel bestimmt mehr als übertraf.
»Wer wohnt hier?«, fragte ich argwöhnisch. Eine gruselige Vorstellung geisterte plötzlich durch mein Hirn.
»Ein schwuler Millionär«, entgegnete Lucian lässig. »Er hatte sechs Richtige im Lotto, davon mietet er sich jetzt jeden Monat einen neuen Loverboy. Mir gehört der November. Bin ich nicht ein Glückspilz?«
»Idiot«, knurrte ich.
»Aber genau das hast du gedacht, stimmt’s?« Lucian sah aus, als ob er gleich haltlos loslachen würde.
»Jetzt mal im Ernst«, sagte ich. »Wer wohnt hier? Hat deine Freundin einen reichen Daddy?«
»Sie ist nicht meine Freundin«, erwiderte Lucian. »Sie ist nur jemand, der mich . . . ablenkt.«
»Toll«, schnaubte ich. »Und was treibst du so mit ihr, um dich . . . abzulenken?«
Statt einer Antwort griff Lucian nach meiner Hand und
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