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Lucian

Lucian

Titel: Lucian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Abedi
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Mal aufgefallen ist. Es kommt mir vor, als ob dir etwas fehlen würde, das andere haben. Aber ich kann nicht zuordnen, was es ist.«
    Ich musste kichern. »Soweit ich weiß, ist alles an seinem Platz. Und jetzt hör auf, mich so anzustarren.«
    Er grinste. »Wenn du meinst«, sagte er gedehnt und beugte sich vor, um mich zu küssen.
    »Ich glaube, ich bin süchtig«, flüsterte ich, nachdem wir uns nach einer halben Ewigkeit voneinander gelöst hatten.
    »Ich weiß, was du meinst.« Er nahm eine meiner Haarsträhnen in die Hand und ließ sie durch seine schmalen Finger gleiten. »Stehen dir gut, die kurzen Haare«, murmelte er. »Was war der Anlass?«
    »Kein so guter.« Ich erzählte ihm von der Chemiestunde. Er hörte mir wortlos zu und wieder verdüsterte sich sein Gesicht.
    »Und das mit dem Vogel?«, fragte er leise.
    »Wie du es geträumt hast«, entgegnete ich und flüsterte jetzt ebenfalls. »Wort für Wort. Bis auf den letzten Satz von Spatz.«
    Ich musste nicht lachen über den unfreiwillig komischen Reim. Lucian auch nicht. »Die Freundin deiner Mutter?«
    Ich nickte.
    »Und was war anders?«, fragte er.
    »Spatz sagte: Es ist wahr . Es ist passiert. John Boy ist tot.«
    »Stimmt. Die ersten Sätze kamen nicht vor in meinem Traum.« Lucian starrte nachdenklich auf seine glatten Handflächen. Unfassbar, dass sie mir nicht vorher aufgefallen waren.
    »Weiß Janne davon?«, fragte ich. »Meine Mutter? Weiß sie das mit deinen Handflächen?«
    Er schüttelte den Kopf. »Nein. Sidney . . .« Lucian zögerte. »Sie hat einmal . . . gestutzt. Sie wollte meine Hände sehen. Aber dann hab ich das Licht ausgemacht.«
    Seine Antwort traf mich unmittelbar, aber ich verbiss mir einen Kommentar. »Und du hast keine Idee, wieso du diese Dinge träumst?«, fragte ich stattdessen.
    Lucian schüttelte wieder den Kopf. »Ich habe nicht den Hauch einer Ahnung. Was mir am meisten Angst macht, sind die Träume aus deiner Zukunft. Das mit deinem Wellensittich war nicht der einzige Traum, in dem du so alt warst wie jetzt. Da war noch dieser . . .«
    ». . . Affe!«, entfuhr es mir. Jannes Notizen fielen mir wieder ein. »Auf dem Notizblock meiner Mutter stand Pappmaschee . Und irgendwas mit einem Farbtopf und blutroter Farbe.«
    Lucian nickte. »Wir standen in einer Küche. Klein, eng, ziemlich zugemüllt. Eine Wand war rot gestrichen. Und neben dem Kühlschrank hockte dieser Affe. Es war eine Skulptur, bunt beklebt mit allem möglichen Zeugs. Auf dem rechten Oberarm prangte eine amerikanische Flagge und auf der Brust klebte eine leere Packung Tempotücher. Sein Gesicht war eine fiese Grimasse und seine Zähne waren ziemlich scharf. Du hast sie angefasst, bist dann zurückgezuckt und gegen ein Regal gestoßen. Dann ist dieser Farbtopf umgefallen, direkt auf dich drauf. Du hattest ein weißes T-Shirt an und ein Kopftuch um, so piratenmäßig am Hinterkopf verknotet. Du sahst aus, als hättest du in Blut gebadet.«
    »Wow.« Jetzt schüttelte ich den Kopf. »Klingt für mich eher nach einem Horrorfilm. Träumst du auch mal was Schönes von mir?«
    Er lächelte, nahm meine Hand zwischen seine, führte sie zum Mund und küsste jede einzelne meiner Fingerspitzen.
    »Ja«, sagte er langsam. »Letzte Nacht habe ich geträumt, dass wir am Strand sitzen.«
    »Deshalb Rio?«, fragte ich halb im Scherz, halb im Ernst.
    »Keine Ahnung. Nein, glaub nicht.« Lucian zuckte mit den Achseln. »Ich weiß nicht, wo dieser Strand lag. Es war jedenfalls ziemlich viel los. Im Wasser waren Surfer, ein paar Jungs spielten Volleyball und neben uns saß ein Mädchen. Sie hatte lange feuerrote Locken und trug ein altmodisches Kleid. Es war silbergrau. Sie zeichnete ein Bild von einem kleinen Jungen und wir haben ihr zugesehen.«
    Ich wusste nicht, was ich sagen sollte.
    Lucian lächelte. »Du hast keine Ahnung, wovon ich spreche, oder? Du kennst keine Affen aus Pappmaschee, die grinsend vor Kühlschränken hocken, oder rothaarige Mädchen in altmodischen Kleidern, die am Strand sitzen und zeichnen.«
    Ratlos zog ich die Schultern hoch.
    »Und deinen siebzehnten Geburtstag hast du wahrscheinlich auch noch nicht geplant, oder?«
    »Nein.« Ich musste lachen. »Wo steigt die große Party?«
    »Da.« Lucian zeigte nach oben.
    »Wie meinst du das?«
    »Wir saßen in einem Ballon. Wir flogen gerade über die Elbe, aber eigentlich sah man die ganze Stadt.«
    »Du meinst, wir saßen in so einem Heißluftding?«, fragte ich aufgeregt. »Das . . . das habe ich mir

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