Luciano
Einen Toast, meine Herren. Worauf wollen wir trinken?«
»Auf uns drei
natürlich«, schlug Luciano vor. »Und auf Lu cianos
Glück. Möge es ihm lange treu bleiben.«
15
Am nächsten Morgen, kurz nach neun Uhr,
fuhren sie in Barberas altem Lieferwagen los. Luciano, Carter und
Savage hinten im Laderaum, Maria vorn neben Barbera.
Es regnete nicht mehr, und man sah
schon jetzt, daß der Tag heiß werden würde. Der
Lieferwagen kletterte die staubige Straße in die Berge hinauf,
fuhr durch eine mittelalterliche Landschaft, passierte ein elendes Dorf
nach dem anderen; viele Häuser hatten überhaupt keine
Fenster, hinter den Türen lagen dunkle Höhlen, in denen
zumeist Vieh und Menschen gemein sam hausten.
Luciano sagte: »Ein
gottverdammtes Land. So war's schon 1907, als meine Leute nach Amerika
auswanderten, um von hier wegzukommen, und noch heute,
sechsunddreißig Jahre später, hat sich nichts
geändert.«
»War die New Yorker East Side denn besser?« fragte Carter.
Sie überholten eine lange
Reihe hagerer Frauen, die alle schwarz gekleidet waren, als betrauerten
sie ihr trübseliges Dasein. Auf den Köpfen trugen sie
Körbe, und die Schultern waren gebeugt, als sie sich die steile
Straße hinaufmühten.
»Professor«, sagte
Luciano mit absoluter Überzeugung, »überall wäre
es besser als hier, sogar im Arsch der Hölle.«
Nach eineinhalbstündiger Fahrt
erreichten sie ein kleines, halbverfallenes Dorf, und Barbera hielt vor
der Weinschenke an. Er kletterte vom Wagen, und aus der Schenke kam ein
klei ner dicker Mann und wischte sich die Hände an einer schmut
zigen weißen Schürze.
»He, Rafaele!« rief Vito Barbera ihn an. »Wie steht's?«
»Gut, Vito – alles für euch vorbereitet. Laß den Wagen hier. Ich kümmere mich darum.«
»Prima!« rief Barbera. »Alles aussteigen!«
Er ging zusammen mit Rafaele hinter
die Weinschenke. Dort warteten in einem kleinen Pferch sechs Maulesel,
gesattelt und aufgezäumt, und am Zaun lehnte ein dunkelhaariger
Junge, der eine Flinte auf dem Rücken trug.
»Das ist Nino. Er bringt euch hinauf. Nur ein Ritt von ein paar Stunden ins Gebirge. Kleinigkeit.«
Luciano sagte zu Carter: »Sie denken aber auch an alles, wie, Professor?«
»Immer noch besser, als zu Fuß zu gehen«, erwiderte Carter.
Luciano half Maria in den
breiten hölzernen Sattel des vor dersten Maulesels. Sie wollte im
Damensitz reiten, und Lucia no zog höchst umständlich den
Steigbügel zurecht.
»Sind Sie aufgeregt?« sagte er. »Wegen der Begegnung mit Ihrem Großvater?«
»Sollte ich das sein?«
Er hatte die Frage aus echter Besorgnis gestellt, und die Käl te ihrer Antwort ärgerte ihn.
»Was ist mit Ihnen los?«
sagte er. »Wo ist die christliche Nächstenliebe geblieben,
das Mitgefühl? Haben Sie das alles zugleich mit der Ordenstracht
abgestreift?«
Nino, der junge Eselstreiber, hatte
ihr eine Reitgerte gege ben, und in einer jähen Aufwallung fuhr
ihr Arm hoch, als wol le sie Luciano einen Peitschenhieb ins Gesicht
versetzen.
»Jetzt bekennen Sie
Farbe«, sagte er. »Jetzt weiß ich, daß Lucas
Blut in Ihren Adern fließt.«
»Gehen Sie zum Teufel!« sagte sie leise.
»Harte Worte«, sagte er. »Drei Ave Maria und zwei Vater
unser.«
Sie zog dem Maulesel die Gerte übers Hinterteil, und er zok kelte los.
Detweiler war fast von Sinnen. Die
Qual in Fingern und Ar men war jetzt nicht mehr so unerträglich,
denn er hatte eine Schmerzschwelle überschritten, doch die
Ukrainer lösten ein ander ab, um in kurzen Abständen den
Eimer, den sie ihm über den Kopf gestülpt hatten, mit
Gummiknüppeln zu bearbeiten. Es war eine Technik, die Suslow von
seiner Dienstzeit im Konzentrationslager Auschwitz mitgebracht hatte.
Das sich ständig wiederholende Dröhnen wirkte so verheerend
auf Ge hirn und Trommelfelle, daß es zumeist innerhalb von
Stunden zum Wahnsinn führte.
Detweiler konnte das Wasser nicht
mehr halten, und seine Hose war völlig durchnäßt.
Suslow, der beobachtend neben ihm stand, sagte ruhig zu seinen Leuten:
»Abspritzen, und dann in eine Zelle mit ihm. Sobald ich gegessen
habe, nehme ich ihn mir vor.«
Sie nahmen Detweiler in die Mitte und
führten ihn ab. Seine Füße schleiften auf dem Boden.
Suslow ging hinterher.
Maria lenkte ihren Maulesel hinter
Nino durch einen Bach. Als sie die jenseitige Böschung hinaufritt,
holte Luciano sie ein. Jetzt ging es
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