Lucifer - Traeger des Lichts
Luft ringend brach er hinter einem Baum zusammen. Er konnte bereits spüren, wie sein Körper die Trance einleitete, welche die Wunde heilen würde, doch er ließ es nicht dazu kommen. Die unwillkürliche Starre, die der Heilungsprozess mit sich brachte, war ein Überbleibsel aus den Tagen, als die meisten Waffen nicht in einem stecken blieben. Kugeln waren anders. Er biss die Zähne zusammen und konzentrierte sich auf das, was er tun musste. Schmerz zerriss seinen Rücken, als endlich die Kugel frei kam, wie von einem ungeduldigen Chirurgen herausgezogen, den die Schmerzen anderer nicht kümmerten.
Das kommt davon, wenn man sich einmischt, dachte er bitter, bevor er der Länge nach mit dem Gesicht nach unten zu Boden fiel.
Er war aufgewacht an einem Ort, der nach Tod stank, und wusste, dass er noch nicht außer Gefahr war. Sein Rücken brannte wie Feuer, und sein Herz begann gerade erst wieder seinen normalen Schlag zu finden. Sein Körper war aus seinem vorherigen Zustand gerissen worden, weil die Trance durch einen Warnmechanismus durchbrochen worden war. Gefahr hatte ihn geweckt, eine Gefahr, der er nur bei vollem Bewusstsein begegnen konnte.
Er lag mit dem Gesicht nach unten in einer schlammigen Grube. Er trug dieselbe Kleidung wie zuvor, durchtränkt von seinem eigenen Blut. Als er sich fragte, wer er war und was er hier tat, klatschte ein Klumpen nassen Lehms auf seine Beine. Dann ein weiterer. Mit der Rückkehr des Bewusstseins hörte er das Knirschen einer Schaufel und spürte mehr Erdreich herunterprasseln. Irgendjemand war dabei, ihn zu begraben, ohne Sarg, in einem namenlosen Grab.
Auch wenn jeder einzelne Nerv dagegen aufschrie, stemmte er sich hoch. Es war ein einzelner Franzose, der ihn begrub. In seinem Schrecken ließ der Mann die Schaufel los, sodass sie dumpf zu Boden polterte.
»Hi«, sagte Sam. Schlamm tropfte von seinem Gesicht, als er seinen ausgedörrten Mund zu bewegen versuchte.
Der Mann drehte sich um und rannte davon. Na, so schlimm sehe ich nun auch wieder nicht aus, dachte Sam, bevor er erneut das Bewusstsein verlor.
Der Zug kam nach Mitternacht in Paris an, und Sam stellte fest, wie schwer es war, ein Hotel zu finden, das rund um die Uhr geöffnet hatte. Schließlich fand er eines in einer Seitenstraße, wo das Mädchen am Empfang, das von irgendwo aus Osteuropa stammte, vor Müdigkeit fast umfiel. Er buchte ein heruntergekommenes Einzelzimmer unter dem Namen Michel Lesson, den er aufs Geratewohl wählte, in der Hoffnung, dass ihn niemand nach seinem Ausweis fragen würde.
Als die Uhren der Stadt zwei schlugen, schlüpfte er wie schon so oft zuvor in eines jener fremden Betten in einem muffigen Zimmer mit einem Schwarzweißfernseher und einem Fenster, das auf Betonfassaden hinausblickte, und schlief ein, ohne sich auch nur Gedanken wegen seiner sonst üblichen Schutzzauber zu machen. Er war einfach zu müde.
Seine Träume waren voller Bilder von Schneestürmen in den tibetischen Bergen, Historikern, Andrews, Gails sowie Freyas Blut an den Händen eines Bruders. Obwohl er unter mehreren Decken lag, erwachte er zitternd vor Kälte.
Der Buchladen lag neben einer kleinen Kirche, die Sam, wäre da nicht das Schild gewesen, das sie als Haus Gottes auswies, wahrscheinlich übersehen hätte. Es war eine jener modernen Kirchen, die in dem Glauben gebaut worden war, dass das Gebet allein zählte, nicht der Ort, wo man es sprach. Doch was der Kirche an Persönlichkeit mangelte, machte die Librairie Rivière, gegründet im ersten Jahr des zwanzigsten Jahrhunderts, mehr als zehnmal wett.
Sam stieß die Tür auf, die mit fünfzig Jahre alten Plakaten beklebt war, und hörte den gedämpften Klang der alten Schelle. Er blickte sich um. Der Laden wurde ganz offensichtlich von einem Sammler geführt, und zwar einem leidenschaftlichen. Es gab eine Vielzahl von signierten Exemplaren, einige Erstausgaben, ein ganzes Regal mit alten Manuskripten und sogar eine Originalausgabe von Pride and Prejudice, die darauf wartete, für mehrere tausend Euro in den Besitz eines ungeheuer reichen Büchernarren zu wechseln. Eine rötlichgelbe Katze lag zusammengerollt und friedlich schlafend auf einem Regal. In einer Ecke bildete ein Haufen Kissen eine Kuschelecke für Kinder zum Vorlesen von Geschichten. Ein Auslagekästchen mit Broschüren zeugte davon, dass dies ein »Gemeinde«-Buchladen war.
Die Kasse war nicht besetzt. Sam sah sich mit Absicht erst ein wenig im Laden um, bevor er an die Theke trat und die
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