Lucifer - Traeger des Lichts
kleine Klingel betätigte, die darauf stand.
»Bin schon unterwegs!«
Ein verhutzelter, kleiner Mann, eher Zwerg als Mensch, betrat den Raum. Er trug eine Brille mit Halbgläsern auf der Nasenspitze, und obwohl er langes graues Haar hatte und einen Wulst um den Bauch, war er so leicht auf den Füßen wie ein Kind. Für Sam war unverkennbar, dass eine Art Schatten ihm folgte, wahrzunehmen nur aus den Augenwinkeln. Dieser Mann, wie Adamarus, wie Wisperwind, war einer von den Anderen.
»Betreiben Sie diesen Laden schon lange?«, fragte Sam leise.
Der kleine Mann sah ihn an und japste, als ihm aufging, was für ein Wesen es war, das da vor ihm stand. »Ziemlich lange, Monsieur«, murmelte er und jonglierte mit seiner Brille, als wäre sie aus nasser Seife. »Wie kann ich Ihnen helfen?«
»Ich suche nach einer Erstausgabe von The Whispering Game.«
Der Mann wurde noch nervöser als zuvor, als seine alten Ohren auf einen Kode ansprachen, den er seit vielen Jahren nicht mehr gehört hatte. »Sie kennen nicht zufällig den Autor?«, fragte er mit atemloser Stimme.
Annette hatte nichts über Autoren gesagt.
»Nein. Aber ich kenne den Verlag. Mondgespinst, 1941.«
»Welches Interesse haben Sie an diesem Buch?«
»Ich war der Chef des Unternehmens.«
Der Mann stieß ein nervöses kleines Lachen aus, nun da er nicht nur wusste, was, sondern auch, wer hinter diesem verschlüsselte Ansuchen um ein Treffen steckte. »Ich werde versuchen, es zu besorgen, Monsieur.«
»Ich warte draußen.«
Mit einem teuflischen Lächeln verließ Sam den Laden. Ein Stück Fußweg entfernt war ein kleiner Park, den er von Annettes Berichten kannte. Er ging dorthin, fand eine Bank und setzte sich. Selbst in Paris war der Februar ein ungemütlicher
Monat, und es dauerte nicht lange, bis er sich in die Hände blasen und die Arme reiben musste, um die Kälte abzuhalten. Wie lange würde es dauern, um Wisperwind eine Nachricht zu übermitteln? Würde er überhaupt kommen?
Nach einer Weile stand er auf und hüpfte umher, um sich aufzuwärmen, womit er seltsame Blicke von Vorübergehenden auf sich zog. Mit seinem grünen Anorak und der Baseballkappe war das nicht überraschend. Das modebewusste Paris sah ihn vermutlich als wenig besser, als einen Clochard an. Schließlich setzte er sich wieder und bibberte unauffällig vor sich hin, bemüht, niemandem in die Augen zu sehen und den Eindruck zu erwecken, er sei nur ein weiterer einsamer Fremder, welcher auf einen Freund wartete, der nicht kam.
Hinter ihm bewegte sich etwas.
»Du bist in Gefahr«, sagte eine Stimme an seinem Ohr wie das Seufzen des Windes.
»Und ich bin gefährlich.« Er wandte sich um, um Wisperwind besser in Augenschein nehmen zu können. »Danke, dass du so schnell gekommen bist.«
»Ich habe mir gedacht, dass du hierher kommen würdest; es erschien mir das logische Ziel. Ich habe Gerüchte gehört. Jemand von den Erstgeborenen ist tot. Unter den Unsrigen wird geflüstert, dass es Freya ist, die gestorben sei, und dass man nach dir sucht.«
Wisperwind war ein alter, alter Elf, wie Adamarus. Doch während Adamarus leicht als ein normales menschliches Wesen durchgehen mochte, war Wisperwind bleich wie Schnee, mit Fingern so lang und einer Gestalt so dünn, dass es schien, wenn man ihn nur zu stark anhauchte, würde er in tausend Scherben zerspringen. Er trug Bluejeans und ein fleckiges Hemd unter einer blauen Jacke, die an ihm hing, als wäre er vom Hals abwärts ein Skelett. Was bei näherer Überlegung durchaus zutreffen mochte.
In Wisperwinds Gesicht war nichts von der Jungenhaftigkeit, die Sam kennzeichnete, und kein Fremder, der Wisperwind beim Vorbeihuschen erspäht hätte, würde ihn anders als alt bezeichnen. Klugheit, Wissen und Zeit standen in seinen hellen Augen und dem schmalen Lächeln geschrieben, das, wie Beelzebubs, nie seinen Ausdruck zu ändern schien. Doch wo Beelzebubs Züge von Sorge zermürbt waren, war Wisperwinds Gesicht von einem Gefühl der Vorahnung gezeichnet.
Vorahnung, was mich betrifft? Oder was aus der Welt rings um uns her geworden ist?
»Ich weiß, dass die Anderen immer miteinander in Verbindung stehen. Es gibt Dinge, die ich herausfinden muss.«
»Natürlich. Auf unsere eigene Art liebten wir alle Freya. Und ich erinnere mich noch an die alten Zeiten. Das Mondgespinst-Netzwerk.« Wisperwind seufzte, ein Laut wie eine Brise, die von einem trägen Fluss an einem Sommertag aufsteigt. »Wir waren die Einzigen, die wirklich etwas getan
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