Lucifers Lady
Charade zu tun gehabt hatte. Der Saum ihres Kleides war zerrissen, und sie besaß weder Nadel noch Faden, um ihn auszubessern, und sie wollte den Kapitän nicht darauf aufmerksam machen, dass sie die Perlen ganz bewusst daraus entfernt hatte. Daher hatte sie sein Hemd vom Stuhl genommen und es angezogen. Seither trug sie es ständig. Sie hatte sogar darin geschlafen.
Es hatte eine Weile gedauert, bis sie sich an seinen Geruch gewöhnt hatte. Die Mischung aus frischer Seeluft, Schießpulver und männlicher Haut war sehr machtvoll - so machtvoll, wie der Mann, der das Hemd getragen hatte.
Sie schob diese Gedanken beiseite und eilte zum Schreibtisch. In der Eile hatte der Kapitän vielleicht vergessen, ihn abzuschließen, und sie bekam endlich die Gelegenheit, ihn zu durchsuchen und möglicherweise sogar die Papiere zu finden.
Catherine zog an der Lade an der Seite. Quietschend ließ sie sich öffnen. Sie lächelte und sank auf die Knie, während sie bereits eilig die Papiere durchwühlte.
Karten, Listen und andere Schiffspapiere lagen in der Schublade. Enttäuscht schob sie sie zu und öffnete die darunter. Rasch überflog sie die Schriftzüge, schüttelte dann aber den Kopf. Das ging zu schnell, um die Worte zu begreifen.
Sie lehnte sich zurück und las das Papier langsamer noch einmal. Dann runzelte sie die Stirn, schüttelte den Kopf und las es ein drittes Mal.
Sie studierte das offizielle Siegel auf der rechten Ecke der letzten Seite und die königliche Unterschrift. Wenn sie dieses Dokument richtig verstand, so war Captain Lucifer kein Pirat, sondern Freibeuter auf Kaperfahrt für England. Wenn das wirklich der Fall war, dann kannte er die Routen der Handelsschiffe ihres Vaters, um sicherzugehen, dass er keine englischen Schiffe angriff, und er wusste auch genau, dass diese Schiffe nur Güter der Krone transportierten, keine Vorräte für den Feind.
Sie schüttelte noch einmal den Kopf. Das ergab keinen Sinn, außer...
Die Erkenntnis, die Catherine jetzt überkam, ließ sie erschauern. Captain Lucifer selbst hatte den Beweis für die Schuld ihres Vaters erbracht. Und er allein besaß den Schlüssel zu seiner Freiheit. Catherine schloss die Augen, um die Tränen zurückzudrängen. Warum? Warum hasste der Kapitän ihren Vater so sehr, dass er all das auf sich nahm, um ihn zu vernichten?
Schritte draußen vor der Kabine schreckten sie auf. Sie legte die Papiere dorthin zurück, wo sie sie gefunden hatte, und lief eilig zum Bett. Sie ließ sich gerade darauf sinken, als Santos hereinstolperte, wobei er versuchte, das Tablett auf seiner Hand im Gleichgewicht zu halten.
Catherine lächelte. Der kleine, kräftige Mann gefiel ihr. Er war freundlich zu ihr und brachte ihr Wasser zum Waschen und Speisen, um ihren Hunger zu stillen.
„Ich habe Ihnen Wein und Käse gebracht“, sagte er und stellte das Tablett auf das Bett. „Sie essen nicht genug.“
„Ich habe nicht immer Hunger.“
Santos reichte ihr ein großes Stück Käse. „Heute Abend werden Sie essen.“
Catherine nahm den Käse und nagte daran, obwohl ihr Magen sich sträubte. Scherzhaft fragte sie: „Gibt jeder auf diesem Schiff Befehle?“
Santos schüttelte den Kopf, während er ihr Wein einschenkte. „Nur Captain Lucifer.“
Sie schluckte mühsam. „Dann hat er befohlen, dass ich esse?“ „Er sieht, dass ihre Speisen jedes Mal beinahe unangetastet zur Kombüse zurückgebracht werden. Er beauftragte mich, dafür zu sorgen, dass Sie heute Abend essen, sonst würde etwas passieren.“
„Was?“ Catherine versuchte, nicht zu ängstlich zu klingen.
Santos bemerkte es, zeigte es aber nicht. „Man weiß nie, was er als Nächstes tun wird.“
Unvorhersehbarkeit. Das war eines der Furcht einflößenden Dinge am Verhalten des Kapitäns. Sie konnte nie sicher sein, wie er in einer bestimmten Situation reagieren würde.
Ihr Vater hatte sich in der Politik betätigt, und dadurch hatte sie die verschiedensten Männer kennen gelernt. Er hatte sie ermahnt, sie zu beobachten und ihr Verhalten zu studieren, und ihr erklärt, dass man innerhalb kurzer Zeit genau wusste, wie jemand in bestimmten Situationen reagieren würde.
Captain Lucifer widersprach diesem Prinzip, aber das tat auch ihr Vater.
Auch jetzt noch fürchtete sie, der Kapitän würde einen Grund finden, in die Kabine zurückzukehren und beschließen, dass er ihr Angebot nicht länger ablehnen wollte. Und dann?
Der Käse lastete plötzlich schwer in ihrer Hand. „Heute bin ich
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