Lucky - Nur eine Frage der Zeit
wurde? Würde er sie in die Arme nehmen und im Siegestaumel im Kreis heftig herumwirbeln, um sie dann zu küssen? Syd wusste noch, was sie gedacht hatte. Sie glaubte, die Menge würde jubeln bei diesem Kuss. In romantischen Filmen tat die Menge das immer, wenn Held und Heldin sich endlich gefunden hatten.
“Schließlich kam er”, erzählte sie Luke, “und gab Autogramme. Ich brauchte eine halbe Ewigkeit, aber endlich stand ich unmittelbar vor ihm. Und er wandte sich mir zu und …”
Der Kloß war wieder da. Verdammt noch mal. Sie musste sich räuspern.
“Und er erinnerte sich nicht an mich”, flüsterte sie. “Er schaute mir direkt in die Augen und erkannte das Mädchen nicht, mit dem er in der Nacht zuvor geschlafen hatte. Er warf mir sein strahlendstes Footballstar-Lächeln zu, nahm mir meine Nachricht an ihn aus der Hand, fragte mich, wie ich heiße, kritzelte sein Autogramm auf den Zettel und gab ihn mir zurück. ‘Für Sydney: Immer fröhlich bleiben. Kevin Manse.’ “
Lucky saß im Sand und starrte zum leicht dunstigen Nachthimmel hinauf. “Darf ich nach ihm suchen?”, fragte er. “Darf ich ihn aufstöbern und ihm eine gewaltige Tracht Prügel verabreichen?”
Syd brachte ein zittriges Lachen zustande.
Er wollte sie wieder berühren, seine Arme um sie legen und sie fest an sich ziehen, aber unter den gegebenen Umständen war das vermutlich die falsche Reaktion.
“Es tut mir so leid”, sagte er, und seine Worte klangen so unzureichend.
Zumal er fast das ganze Abendessen lang nur darüber nachgedacht hatte, wie er Sydney heute Nacht in sein Bett locken wollte. Spät in der Nacht. Nach zwei Uhr morgens, wenn sie am verwundbarsten sein würde. Er wollte die Mikrofone abschalten, sein Team nach Hause schicken, und in der Abgeschiedenheit seines Wohnzimmers …
Er hatte sich gesagt, dass es vermutlich am besten ankam, wenn er ehrlich zu ihr war. Wenn er ihr sagte, dass er sich zu ihr hingezogen fühlte. Wenn er zugab, dass er kaum an etwas anderes zu denken vermochte als daran, dass er sie begehrte. Er wollte dabei näher und näher an sie heranrücken, bis er sie endlich in seinen Armen hielt. Er wollte sie küssen, bis sie vollkommen die Orientierung verlor. Bis sie nachgab.
Tatsächlich aber war das gar nicht wirklich ehrlich. Es war eher berechnend, weil er glaubte, demonstrative Aufrichtigkeit würde ihm nützen.
Dabei hatte er nicht groß an morgen gedacht. Er hatte keinen Gedanken an Sydneys Gefühle verschwendet. Oder an ihre Erwartungen.
Genau wie Kevin Manse hatte er nur an sein eigenes unmittelbares Vergnügen gedacht. Himmel, was war er doch für ein hundsgemeiner Vollidiot!
Syd zog tief die Luft ein und stieß sie heftig wieder aus. “Wir sollten wohl besser gehen. Es ist spät geworden. Du musst noch zum Stützpunkt, und ich … ich muss mir Opfer auf die Stirn tätowieren, damit unser Mann auf die richtigen Gedanken kommt.”
Sie stand auf und reckte sich, wandte sich dann ihm zu und streckte ihm die Hand entgegen. Er griff danach, und sie half ihm hoch. Er hatte auch vorher schon gewusst, dass sie kräftig war, aber sie war viel kräftiger, als er vermutet hätte.
Er hielt ihre Hand fest. Plötzlich fürchtete er, dass sie ihn nicht wirklich mochte, dass sie seine Gesellschaft nur ertrug. Er hatte Angst davor, was sie in ihrem Artikel über ihn schreiben würde, wenn alles vorbei war. Am meisten fürchtete aber, dass er sie nie wiedersehen würde, wenn alles vorbei war. “Syd, hasst du mich?”
Sie wandte sich ihm zu und berührte mit kühlen Fingern seine Wange. “Machst du Witze?” Ihre leicht rauchige Stimme verriet leise Belustigung, aber es schwang noch etwas anderes darin mit. Etwas Warmes, das ihn einhüllte und ihn mehr als nur ein wenig erleichterte. “Ich weiß, dass es verrückt klingt, aber ich glaube, du bist vermutlich der beste Freund, den ich je hatte.”
11. KAPITEL
S yd erwachte, weil das Telefon klingelte.
Der Wecker auf dem Nachttischchen in Lukes Gästezimmer zeigte 3:52 Uhr an. Beinahe vier Uhr morgens. Wer mochte um diese Zeit anrufen?
Schlagartig wusste sie, was los war, und setzte sich mit hämmerndem Herzen auf.
Der Vergewaltiger hatte den Köder verschmäht. Stattdessen hatte er eine andere arme Frau überfallen.
Sie konnte Luke im Nebenzimmer leise sprechen hören.
Seine Stimme wurde lauter, und obwohl sie die Worte nicht verstand, konnte sie hören, wie zornig er war. Nein, das waren keine guten Neuigkeiten, so viel stand
Weitere Kostenlose Bücher