Lucy - Besuch aus fernen Welten (Band 1) (German Edition)
verborgen, sodass den Zuschauern wenigstens die Auswirkungen des Schusses erspart blieben. So sahen sie nur – und das war schlimm genug – wie die Augen der Adresanerin brachen, ihr Kopf zur Seite kippte und sie die Zuschauer aus offenen, toten Augen anstarrte.
Außer ihren kleinen Bruder hatte Lucy noch nie einen Menschen getröstet und sie war auch nicht gerade der Typ dafür, fand sie. Jetzt hatte sie aber ganz automatisch Kim in den Arm genommen, die sich zitternd und schluchzend an sie drückte. Es tat verdammt gut, sich selbst an etwas festhalten zu können. Lucy hatte natürlich schon einige Horrorfilme gesehen, besonders die, die erst ab achtzehn zugelassen waren. Die hatte sie schon allein deshalb sehen müssen, weil ihre Eltern es natürlich verboten und sich fürchterlich geärgert hatten, als sie es ihnen erzählt hatte. Aber diese Filme waren alle ein Witz gegen das gewesen, was sie gerade eben gesehen hatte. Das war so realistisch gewesen. Die Menschen sahen so echt aus, als hätte sie direkt daneben gestanden. Sie drückte Kim noch etwas fester an sich und linste verstohlen zu den Jungs hinüber. Christoph saß auf seinem Sitz, als wäre er zu einer kalkweißen Statue erstarrt. Lars sah so aus, als würde er sich jeden Moment übergeben. Er bemühte sich verzweifelt, die Fassung zu wahren.
Die Stimme des Kommentators ertönte wieder völlig neutral von irgendwo schräg über der Filmszene: »Diese letzte Schlacht dauerte 4 Minuten und 36 Sekunden. Anschließend gab es keinen nennenswerten Widerstand mehr auf Adres.«
Danach verblasste die ganze Szenerie und das Licht ging wieder an. Lucy sah mehrmals auf die Bühne. Auch wenn man ihr erklärt hatte, dass das alles ein dreidimensionaler Film war, so erwartete sie dennoch, dass irgendwo Reste von Blut auf dem Boden zurückgeblieben wären. Das war natürlich nicht der Fall.
»Wie sieht’s aus? Wollt ihr noch ein paar Szenen aus dem Leben auf Adres nach der Invasion sehen?« Jonny grinste jetzt nicht mehr, sondern sah sie ernst, ja fast grimmig an. »Ihr könnt euch vorstellen, dass das nicht gerade viel besser ist. Wie ihr gesehen habt, ist das Leben eines Adresaners für einen Imperianer nicht viel wert. Ich hätte noch ein paar Szenen von der Versklavung und der Folter von Abtrünnigen im Programm.«
»Nein!«, schrie Kim. Sie klang leicht hysterisch. »Es reicht, wir wollen nichts mehr sehen!«
»Wie ihr wollt. Wie sieht’s aus, braucht ihr noch Zeit für eure Entscheidung oder soll ich euch gleich zurückbringen?«, fragte Jonny noch immer ganz ernst.
Lars räusperte sich. Bevor er aber etwas sagen konnte, platzte es aus Kim heraus: »Und wenn du jetzt irgendeinen Scheiß redest, schmeiße ich dich eigenhändig aus diesem Schiff.«
Lucy hielt sie noch immer im Arm. Sie zitterte und schluchzte. Tränen liefen ihr aus den Augen und die Wangen hinunter.
Lars räusperte sich noch einmal und sagte dann mit leiser, belegter Stimme: »Ich wollte nur sagen, dass ich mitmache und wie es aussieht, gilt das für die anderen auch.«
»Schön, dass wir euch überzeugen konnten«, sagte Professor Qurks. »Allerdings gibt es da ein Problem, weswegen ich dagegen war, euch den Film zu zeigen. Wie ihr gesehen habt, sind die Imperianer euch sehr ähnlich. Ich meine nicht nur vom Aussehen, was ihr unter den Kampfanzügen ja sowieso nicht gesehen habt. Ich meine vor allem in ihrem Verhalten. Das heißt, auch sie reagieren sehr gefühlvoll. Die Armee der Adresaner war im Prinzip nach nicht einmal der Hälfte des Rückschlages besiegt. Es wäre logisch gewesen, den Rest der Leute einfach fliehen zu lassen. Man hätte sie später sogar noch als Sklaven und Arbeiter nutzen können. Die Imperianer haben aber emotional reagiert. Sie fühlten sich angegriffen und haben aus Wut oder Sadismus oder aus welchen Gefühlen auch immer kurzen Prozess gemacht und die gesamte Armee bis auf den letzten Menschen umgebracht. Einfach unlogisch! Ihr erlebt jetzt genau das Gleiche. Ihr seid entsetzt, ihr seid wütend und würdet am liebsten sofort jeden Imperianer zur Hölle schicken. Nur das ist nicht das, was wir wollen und schon gar nicht das, was eure Aufgabe ist.«
»Nun lass mal gut sein, Qurks!«, mischte sich Jonny ein. »So ein bisschen Kampfgeist ist schon genau das Richtige. Das motiviert doch die Jungs erst richtig – und die Mädchen natürlich auch. Hab ich recht?«
»Ne«, schniefte Kim. »Der Professor hat recht. Wenn wir mit Hass auf die anderen zugehen, sind
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