Lucy - Der Schlüssel (Band 5) (German Edition)
verlassen, dass der Busverkehr noch funktionierte.
Lucy ging zurück zu der Lichtung, auf der unsichtbar die Fä hre stand. Dort befand sich wie damals dieser Pfad, der in Richtung ihres Heimatstädtchen führte. Sie ging drei Schritte in die Richtung. Dann schlug sie einen leichten Trab an. Sie würde etwa drei Stunden brauchen, schätzte sie.
»Wenn heute ein Wochentag ist, werde ich früh morgens zum Frühstück zu Hause sein«, dachte Lucy und schmunzelte. Ihr wurde warm ums Herz.
Allerdings nur ganz kurz, dann kamen alle Ängste zurück. Sie hätte gerne die Oberfläche des Planeten nach Veränderungen abgetastet. Sie wusste nicht einmal, ob ihr Städtchen noch stand.
Die Informationen von der Erde, die in den üblichen Medien des Imperiums gezeigt und natürlich auch von den Rebellen abgehört wurden, stellten den Zustand des Planeten sehr einse itig dar. Die meisten Nachrichten erhielten sie von den Teilen der Erde, in denen die Menschen in den letzten Jahrhunderten gelitten hatten. Es wurden jubelnde Menschen gezeigt, Kinder, deren Krankheiten geheilt worden waren, Menschen, die nicht mehr hungern mussten. Es wurde gezeigt, wie die Menschen das Ende von Bürgerkriegen feierten. Andere erzählten begeistert, dass es eine funktionierende Polizei gab, plündernde und mordende Banden eingesperrt worden waren und sie ohne Angst auf die Straße gehen konnten. Die imperianischen Nachrichten zeigten, wie große Projekte begonnen wurden, um Trinkwasser und Ernährung sicherzustellen. Es wurde gezeigt, wie Krankenhäuser und Schulen aufgebaut wurden. Alle Menschen auf der Erde schienen über die Invasion zu jubeln und die imperianischen Truppen zu feiern.
Wenn sie genau hinsahen, fiel Lucy und ihren Freunden alle rdings auf, dass so gut wie keine Nachrichten aus dem Norden des Planeten kamen. Nirgends sah man Europäer oder Nordamerikaner. Wie war es diesen Menschen ergangen, die bis dahin ein glückliches oder wenigstens ein ganz zufriedenes Leben geführt hatten. Hatte es in diesen Regionen Widerstand oder sogar militärische Auseinandersetzungen gegeben? Lucy wusste nichts. Sie wusste nicht, wie es in ihrem Heimatstädtchen aussah, ob es ihrer Familie gut ging, ob sie überhaupt noch lebte. Sie hatte diese Fragen zwei Jahre lang ignoriert. Sie konnte nicht auf die Erde. Sie durfte nicht einmal nachfragen, um niemanden zu gefährden. Schließlich war sie selbst die meistgesuchte Person des ganzen Imperiums.
Lucy blieb stehen. Sie hatte Seitenstiche. Sie wusste, dass es nicht ihr Körper war, der sie im Stich ließ. Sie lehnte ihre Stirn an einen Baum, eine uralte Eiche. Tränen rannen ihr ohne Vo rwarnung aus den Augen.
»Bitte, lass nichts Schlimmes passiert sein«, dachte sie.
Lucy ging ein paar Schritte. Ihre Beine schienen ihr nicht mehr zu gehorchen. Langsam, ganz langsam, setzte sie sich wieder in Trab. Der Weg kam ihr endlos vor. Lucy wusste nicht, dass vor fast zwei Jahren ein Mädchen mit sehr ähnlichen Ängsten genau den gleichen Pfad gelaufen war, ihre Freundin Kim.
Es dämmerte leicht, als sie den Rand des Städtchens erreichte. Locker joggte Lucy weiter in Richtung der kleinen Siedlung, in der das Haus ihrer Eltern stand.
Es war gespenstisch. Der morgendliche Verkehr begann. Er sah genauso aus wie vor zwei Jahren. Personen- und Lastkraftwagen fuhren auf der Hauptverkehrsstraße. Es schien, als wäre nichts passiert. Keine Spuren der Imperianer. Die Silhouette der Kleinstadt sah noch genauso aus wie zwei Jahre vorher. Waren die Imperianer nur auf der Südhalbkugel gelandet?
Lucy bog um das große Gebäude der Stadtverwaltung. Vor Schreck wäre sie beinah über ihre eigenen Füße gefallen. Direkt neben diesem hässlichen Verwaltungsgebäude aus Beton, Metall und Glas wuchs im wahrsten Sinn des Wortes eines dieser pilzfö rmigen, imperianischen Häuser aus dem Boden. Es sah erst halb fertig aus, aber es würde mit Sicherheit doppelt so hoch wie das Gebäude der Stadtverwaltung werden.
Gut, jetzt wusste Lucy, dass das Imperium auch hier ang ekommen war. Im nächsten Moment sah sie eines dieser vierbeinigen Transportmittel, das auf der linken Spur an der Schlange der Automobile vorbei rannte. Dabei nutzte es jeden Meter links und rechts der Autokolonnen aus, um auf flinken Beinen die auf Rädern dahin rollenden Fahrzeuge zu überholen.
Lucy blieb einen Moment stehen und beobachtete die Szene. Di ese Mischung zwischen der Technik, wie sie sie von der Erde kannte und der neuen Technologie der
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