Lucy im Himmel (German Edition)
Essen machten wir es uns mit einem Buch auf der Terrasse gemütlich, wo ich meinem Schatz von Zeit zu Zeit einen Es-geht-mir-gut-Gedanken suggerierte. Es wurden ein paar schöne, ruhige Stunden, die ich sehr genoss – ganz in trauter Zweisamkeit, ohne Störung durch irgendwelche Verehrerinnen. Offenbar war alles auf dem richtigen Weg.
Gleich am folgenden Morgen nutzte ich die Gelegenheit, dass mein Mann eine Besprechung in einem anderen Gebäudeteil der Dienststelle hatte, und setzte mich an seinen Computer, den ich systematisch nach Beas Mails durchforstete. Diesmal wurde ich fündig – der Suchfunktion des E-Mail-Client sei Dank! Für Gregors Verhältnisse hatten er und Bea es auf eine ganz ansehnliche Anzahl von Nachrichten gebracht. Mal waren es längere, mal kürzere. Der Ton war von beiden Seiten herzlich – gelegentlich auch ein wenig ironisch, den anderen auf die Schippe nehmend.
Das war mir bei ihrem gestrigen Gespräch bereits aufgefallen: Bea hatte sich von der Position meines Mannes nicht einschüchtern lassen, genauso wie er ihr keinen Starbonus gab. Stattdessen hatten sie sich von Zeit zu Zeit den einen oder anderen humorvollen verbalen Schlagabtausch geliefert.
Sobald ich alles gelesen hatte und mir sicher war, dass mir in Zukunft kein Fauxpas unterlaufen konnte, machte ich mich auf die Suche nach meinen Turteltäubchen: Claudia und Tobias. Wie ich es erwartet hatte, waren die zwei schon wieder so weit, dass sie eine frische Portion Zuspruch brauchten: Beide saßen in ihrem jeweiligen Büro und hatten sich, ihrem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, an diesem Morgen noch nicht einmal anständig begrüßt. Ich seufzte und fragte mich, wie sie wohl jemals ohne meine Hilfe zueinander hätten finden sollen.
Diesmal nahm ich mir Madame als Erste vor und hielt ihr eine Standpauke, in die ich die Erfahrungen einer fünfzehn Jahre älteren Frau einfließen ließ. So wie sich Klein-Claudia die Welt vorstellte, funktionierte die nämlich nun mal nicht. Eine glückliche Beziehung bekam man nicht geschenkt, man musste sie sich erarbeiten. Und das fing bereits während der Sich-ineinander-verlieben-Phase an. Frau durfte nicht Prinzessin auf der Erbse spielen und warten, dass der andere etwas unternahm. Also auf, Mädel. Jetzt gehst du zu Tobias und bringst ihm eine frischgekochte Tasse Kaffee. Damit auch wirklich nichts schiefgehen konnte, lief ich hinterher.
Tobias hockte vor seinem Computer, aber ihm war anzumerken, dass er auf den Bildschirm starrte, ohne etwas zu sehen. Seine Gedanken waren ganz wo anders. Als sich jedoch Claudias Hand mit der Kaffeetasse ins Zimmer schob, hellte sich sein Gesichtsausdruck schlagartig auf.
»Ich dachte, du könntest vielleicht einen kleinen Muntermacher gebrauchen.« Schüchtern lächelte sie ihn an.
»Genau den wollte ich mir seit zehn Minuten holen. Du bist ein Engel.«
Na, na! Jetzt nicht gleich so schamlos übertreiben, liebster Tobias! Freuen und loben ist okay, aber bitte im Rahmen bleiben. Schließlich ist es nur eine Tasse Kaffee. Ich schüttelte den Kopf und seufzte.
In dem Augenblick tat es einen Schlag und eine Lache breitete sich auf seinem Schreibtisch aus. Die Tastatur, sämtliche Akten und auch den Kommentar zum Betäubungsmittelgesetz hatte es getroffen. Der kurze Moment, während dem ich in Gedanken gewesen war, hatte Claudia genügt, über ihre eigenen Füße zu stolpern. Da hatte ich sie tagelang Dinge umkippen lassen und nun machte sie es selbst bei dem Mann, der für sie bestimmt war. Welch Ironie! Ich hätte am liebsten laut losgelacht.
Ihr hingegen schossen sofort Tränen in die Augen. Das wiederum konnte ihr Zukünftiger nicht sehen, und so kam eins zum anderen: Sekundenbruchteile später hielt er sie nicht nur tröstend in den Armen, sondern küsste sie auch schon leidenschaftlich. Mir blieb nur noch, schnell zur Tür zu laufen und sie von außen zuzumachen. Ab hier mussten sie alleine weiterkommen.
Hocherhobenen Hauptes ging ich ins Büro meines Mannes zurück. Unterwegs klingelte mein Handy. Es war Gabriel.
»Ganz exzellent, Lucy. Besser hätte ich es auch nicht einfädeln können. Falls wir mal einen professionellen Kaffeetassenumschmeißer brauchen, bist du die Top-Kandidatin.«
»Das war ich aber doch gar nicht«, antwortete ich empört.
»Und das soll ich dir glauben?« Er lachte sein leises ironisches Lachen.
Weitere Kostenlose Bücher