Lucy in the Sky
erfolgreiche Frau, jemand, den ich sehr achte. Ach, was soll’s. Ich würde ihren Rat sehr schätzen. »Es ist ziemlich persönlich. Und ich weiß, dass du es nicht magst, wenn das Privatleben mit ins Büro geschleppt wird … «
»Mach dir mal deswegen keine Sorgen«, ermuntert sie mich weiterzureden.
»Ich liebe zwei Männer.« Jetzt ist es raus. Ich habe es gesagt.
»Ah.« Sie nickt. »Das ist kompliziert.« Sie schiebt ihren Stuhl zurück und steht auf. Ich bleibe sitzen, während sie zum Fenster hinübergeht, die Arme vor der Brust verschränkt und auf den Soho Square hinunterblickt.
»Mit diesem Problem bist du nicht allein, weißt du, Lucy.«
Überrascht sehe ich sie an. Aus dem PR -Artikel vergangenes Jahr wissen wir alle, dass Mandy zweimal verheiratet war und jetzt mit einem Mann in Westlondon lebt. Aber sie spricht nie über persönliche Dinge. Traurig sieht sie mich an.
»Möglicherweise triffst du die falsche Entscheidung und machst alles kaputt … «, beginnt sie nachdenklich. »Aber ich habe mich immer auf mein Bauchgefühl verlassen.«
Ich bin ganz Ohr. Diese Seite meiner Chefin kenne ich noch gar nicht.
»Du kannst natürlich dein Leben lang gemütlich in deinem Sessel sitzen bleiben«, fährt sie fort, »und darüber spekulieren, ob das Gras anderswo vielleicht grüner gewesen wäre. Oder du kannst darauf pfeifen und es einfach ausprobieren … « Die Hand auf die Brust gepresst, sieht sie mir ins Gesicht. »Vielleicht scheint es für alle anderen nicht die naheliegende Entscheidung zu sein, und vielleicht ist es schmerzhaft und kompliziert und macht dir totale Angst, aber du bist kein Mensch, der immer auf Nummer sicher geht, Lucy. Das glaube ich jedenfalls. Deshalb bist du ja auch meine PR -Frau Nummer eins.«
Durch Mandys Offenheit und ihr unerwartetes Kompliment fühle ich mich in diesem Moment mit ihr so wohl, wie ich mich in den vier Jahren, die ich hier arbeite, noch nie gefühlt habe. Verrückt, dass ich den besten Rat bisher von absolut unerwarteter Seite bekomme.
»Und hast du die richtige Entscheidung getroffen?«, frage ich ganz direkt.
»Das weiß ich immer noch nicht.« Sie lächelt. »Aber hey, ich bin optimistisch.«
Als ich abends nach Hause komme, ist James schon da.
»Warst du mit ihm zusammen?«, fragt er niedergeschlagen und kommt sofort zur Tür in dem Moment, in dem ich reinkomme.
»Nein«, antworte ich.
»Gott sei Dank. Ich fühle mich so schlecht, Lucy, ich musste sogar früher von der Arbeit weg. Bitte triff dich nicht mit ihm. Bitte.« Er versucht mich an sich zu ziehen, aber ich weiche zurück. Dann fängt er an zu weinen, was herzerweichend ist.
»James, nicht weinen!«, flehe ich ihn an. Er schlingt die Arme um mich, und ich merke, dass er am ganzen Körper zittert. Ich hasse mich.
Schließlich lässt er mich los.
»Schau, Lucy, ich bitte dich nur, mit mir über Weihnachten nach Hause zu kommen, damit wir Zeit füreinander haben und alles besprechen können«, bettelt er. »Ich liebe dich«, fügt er leidenschaftlich hinzu.
»Ich liebe dich auch«, antworte ich traurig, und der hoffnungsvolle Blick in seinen Augen bringt mich fast um, denn ich füge noch hinzu: »Aber ich glaube nicht, dass es ausreicht.«
»Doch, es reicht aus, Süße. Wir kriegen das hin. Komm einfach mit mir über Weihnachten nach Hause.«
Mum, Chloe, Gemma … Sie denken alle, dass ich einen Fehler mache, wenn ich James diese letzte Chance nicht gebe. Und Mandy? Wie war das mit dem Auf-Nummer-sicher-Gehen?
Aber sie kennt ja auch nicht alle Details. Sie weiß nicht, dass Nathan nach Australien zurückgeht, oder was die Zukunft für uns auf Lager hat. Ganz schön verrückt, dass ausgerechnet sie – wenn auch ohne es zu wissen – mit ihrem Rat riskiert, ihre » PR -Frau Nummer eins« an ein Land auf der anderen Seite des Globus zu verlieren.
Aber ich kann England nicht verlassen und nach Australien gehen. Noch nicht. Ich bin noch nicht bereit, meinen Job, meine Freunde, meine Wohnung aufzugeben.
Unsere
Wohnung natürlich. Und die muss ich aufgeben, wenn ich James verlasse.
Vielleicht haben Mum und meine Freundinnen recht. Vielleicht handle ich überstürzt.
Der Gedanke an Weihnachten in Nathans schmutzigem Haus in Archway mit seinen kettenrauchenden Mitbewohnern deprimiert mich ein bisschen. Aber alle Züge nach Sommerset sind inzwischen bestimmt ausgebucht, also werde ich nicht zu meiner Familie fahren können. James und ich haben unsere Zugtickets nach Maidstone in Kent
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