Lucy in the Sky
gewohnt haben. Ich bleibe einen Moment lang vor dem hässlichen, dreistöckigen Backsteingebäude mit den grauen Steinbalkonen stehen.
Mum und ich sind oft umgezogen. Wir haben nie länger als vier Jahre irgendwo gewohnt, deshalb kann ich auch nicht mit Überzeugung sagen, dass ich mich irgendwo wirklich zu Hause gefühlt habe. Trotzdem bekomme ich Heimweh, wenn ich zu dieser Wohnung im ersten Stock hinaufsehe, mit dem kleinen Balkon, auf dem wir manchmal gegessen haben. Dann stelle ich mir Mum in ihrem malerischen englischen Garten vor und muss unwillkürlich lächeln. Wer hätte gedacht, dass sie, die uns hier mit einem Job als Sekretärin in einer Buchhaltungsfirma durchbringen musste, einmal ihren eigenen gemütlichen Tea-Shop in Somerset haben würde? Ich freue mich ehrlich für sie. Terry war einer der Chefs in der Firma, und obwohl er mir anfangs unendlich langweilig erschien, weiß ich inzwischen, dass er ein ausgesprochen lieber Mensch ist, der Mum unendlich guttut. Gott allein weiß, wie er meine Wutanfälle verkraftet hat, denn als die beiden beschlossen, mit mir nach England zurückzukehren, bin ich völlig ausgerastet und hab natürlich ihm die Schuld dafür gegeben, dass ich mich von meinen Freunden trennen musste. Aber das Haus in Somerset fühlt sich für mich weit mehr wie ein Zuhause an als irgendeine dieser Zweizimmerwohnungen.
Plötzlich wünsche ich mir, James wäre hier. Ich hätte ihm gern gezeigt, wo ich früher gelebt habe. Gestern Abend hab ich mit ihm telefoniert und ihm erzählt, dass ich Mollys Brautjungfer sein werde. Auch von dem sagenhaften Kleid habe ich ihm erzählt, allerdings nur kurz, weil er zu einem frühen Meeting musste und eigentlich schon halb aus der Tür war. Und ich war sowieso ziemlich müde. Aber es hat mir gutgetan, seine Stimme zu hören, auch wenn ich immer noch ziemlich nervös werde, wenn ich daran denke, was er daheim in London alles anstellen könnte.
Inzwischen hat der Regen aufgehört, und ich schaue auf die Uhr. Bis ich Molly abholen muss, bleiben mir noch ein paar Stunden, aber ich habe Lust auf einen Kaffee und würde gern sehen, wo sie arbeitet, also fahre ich in die Stadt zurück.
Molly arbeitet in einem ziemlich abgefahrenen kleinen Designerladen, in dem man alles kriegt – von Kerzen über Geschirr bis zu Schmuck, Kissen und Klamotten. Als ich hereinkomme, bedient sie gerade einen Kunden, aber sie freut sich offensichtlich, mich zu sehen, und formt mit den Lippen ein stummes »Hey, du!«, als sie den Preis in die Kasse eintippt. Die letzten ruhigen Stunden ihres Arbeitstages verbringen wir mit Plaudern, vor allem über die Junggesellinnenparty am Samstag. Ich weiß, dass es als Brautjungfer eigentlich meine Pflicht ist, die Party zu organisieren, aber Molly hat mich mit dem Job mehr oder weniger überrumpelt und weiß sowieso selbst am besten, was sie machen möchte. Der Plan ist, am Circular Quay in einer schicken Bar was zu trinken, dann beim Italiener in der Nähe zu essen und schließlich in King’s Cross in einen Club zu gehen. Es klappt noch, für die Fahrt vom Restaurant zum Club eine grell pinkfarbene Limousine zu reservieren. Wir können es kaum erwarten.
»Hast du vielleicht Lust, am Pier noch kurz was trinken zu gehen?«, schlägt Molly vor.
»Gerne.«
Molly ruft Sandra, ihrer Chefin, die gerade damit beschäftigt ist, im hinteren Raum Stoff auf Holzrahmen zu spannen, schnell einen Abschiedsgruß zu.
Unterdessen haben sich die Wolken verzogen und der Wind hat sich gelegt. Blauer Himmel überall. »Du hast echt Glück mit dem Wetter«, meint Molly.
Manly Wharf ist gewaltig aufgemotzt worden, seitdem ich das letzte Mal hier war, und die weiße Art-Deco-Kaimauer mit der Holzverschalung wirkt frisch und sauber. Die Turmuhr schlägt Viertel nach sechs. Wir gehen zur Jetty Bar und setzen uns auf eine der Holzbänke. Riesige weiße Sonnenschirme schützen uns vor der inzwischen recht warmen Sonne.
»Ein süßer Typ, der Barmann«, stellt Molly fest, als sie mit zwei Gläsern Champagner an den Tisch zurückkommt.
»Molly, du bist so gut wie verheiratet!«, lache ich.
Sam und Molly feiern im Botanischen Garten, mit Blick auf das Opera House, die Harbour Bridge und Sydneys kristallklare Skyline. Normalerweise würde ein Zelt mit so einer Aussicht ein Vermögen kosten, aber weil Sam hier arbeitet, bekommt er einen guten Rabatt.
»Ist mit der Location alles klar?«
»Ich denke schon. In gut einer Woche wird das Zelt aufgebaut.«
»Was
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