Lucy in the Sky
Folie verpacktes Kleidungsstück hervorholt, »das hier ist für dich.«
Neugierig – und ehrlich gesagt auch ein bisschen nervös – nehme ich es entgegen.
Es ist mir peinlich, dass ich nichts besitze, was Molly entworfen hat. Von ihrer Website könnte ich jederzeit etwas bestellen, aber wir haben einen total unterschiedlichen Kleidungsstil. Sie liebt es ziemlich verrückt und manchmal echt grell, während ich eher gediegen-elegant daherkomme. Es wäre mir sehr unangenehm, wenn ich sie damit verletze, aber ich würde in ihren Modellen einfach nicht richtig aussehen. Hoffentlich versteht sie es.
Also lüfte ich mit gewissen Vorbehalten die Plastikhülle. Zum Vorschein kommt ein langes Kleid aus silberner Seide.
»Das ist ja
umwerfend
!«
»Wärst du bereit, meine Brautjungfer zu sein?«, fragt Molly mit einem Lächeln.
Vor Aufregung bin ich so aus dem Häuschen, dass ich erst mal eine Weile auf der Stelle herumhüpfe und unartikulierte Freudenlaute von mir gebe. Molly sieht mir lachend zu.
»Ist das ein Ja?«
»Machst du Witze? Ich möchte liebend gerne deine Brautjungfer sein!« Ehe ich meine Aufmerksamkeit wieder dem Kleid zuwende, nehme ich meine beste Freundin erst mal fest in den Arm.
»Ich hoffe nur, es passt. Ich musste James wegen der Maße anrufen.«
»Du hast James angerufen?«
»Ja, er war total nett und hilfsbereit.«
»Wirklich?«
»Ja, wirklich. Lucy, ich bin sicher, das wird wieder mit euch beiden«, versichert sie mir.
»Ich hoffe«, antworte ich leise.
»Ja, klar. Ihr seid ein perfektes Paar. Dieses Foto, auf dem ihr beide mit Strohhalmen euren Cocktail aus dem gleichen Glas nuckelt … Du hast es mir mal gemailt – wo war das nochmal?«
»Florida, vor einem Jahr.«
»Das war so süß.«
Dankbar lächle ich sie an. Ich möchte nicht, dass mein privates Drama Mollys und Sams großen Tag überschattet, und ich hoffe, es stört Molly jetzt auch nicht, dass ich sie frage: »Möchtest du die SMS sehen?« Auf einmal ist es mir ganz wichtig zu erfahren, was sie davon hält.
»Klar, gern.« Sie nimmt mir das Kleid ab, während ich nach unten laufe und mein Handy hole. Als ich zurückkomme, halte ich ihr das Display hin und scrolle langsam nach unten, damit sie die Nachricht lesen kann.
»Und er vermutet, dass seine Freunde dir das geschickt haben?«
»Ja, als sie zusammen im Pub waren. Er hat sein Handy auf dem Tisch liegen lassen, als er an die Bar gegangen ist.«
»Da hat er aber nette Freunde«, meint sie ironisch.
»Na ja, sie sind nicht wirklich seine Freunde, sondern Kollegen von der Arbeit. Deshalb hab ich auch nicht sonderlich viel Kontakt zu ihnen.«
»Ist vielleicht auch besser so«, meint Molly. »Lucy, ich finde, du solltest die SMS löschen.«
Unsicher sehe ich sie an.
»Du musst sie loswerden. Sonst fühlst du dich jedes Mal beschissen, wenn du sie anschaust. Und wenn James die Wahrheit sagt, wovon ich überzeugt bin – weshalb solltest du sie dann aufheben?«
Ich weiß selbst nicht, warum, aber ich will diese SMS nicht löschen.
Natürlich bemerkt sie mein Zögern sofort. »Du bist immer noch die alte Masochistin. Genau wie in der Schule damals«, neckt sie mich.
»Was meinst du denn damit?«, frage ich lachend.
»Ach, ich weiß noch genau, wie du immer direkt nach den Mathearbeiten die Lösungen nachgesehen hast, um zu wissen, was du falsch gemacht hast … Und du liest doch auch aus lauter Neugier schon gleich die letzten Seiten eines Romans, obwohl du weißt, dass dir das Buch dann keinen Spaß mehr machen wird … Du wühlst Ewigkeiten in den Sonderangeboten, nur um rauszufinden, ob der Rock, für den du vor Monaten ein Heidengeld bezahlt hast, inzwischen runtergesetzt worden ist … «
Zu ihrer Aufzählung passt leider auch, dass ich mich in meinen wunderbaren, braunäugigen Schulkameraden verliebt hatte, obwohl ich wusste, dass er längst vergeben war, und zwar an meine beste Freundin auf der ganzen Welt … Aber das sage ich nicht laut.
»Schon gut, schon gut!«
»Na, dann los, lösch diese blöde SMS !«
»Ach, was soll’s.« Ich drücke den Knopf und lösche die SMS , bestätige, dass ich die Nachricht wirklich löschen will, und sehe dann zu, wie sie verschwindet. Ein erhebendes Gefühl. Ich sollte meinen Nachrichtenspeicher öfter mal ausmisten.
»Bist du jetzt zufrieden?«, frage ich sie.
»Ja, bin ich. Das war ein guter Anfang. Also«, fährt sie fort und hält das Kleid vor mir in die Höhe, »willst du es gleich
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