Lucy in the Sky
um die Ecke. Weil es noch ziemlich dunkel ist, hat er die Scheinwerfer angestellt. Ich beobachte, wie er aussteigt. Er sieht anders aus, als ich ihn mir in meinem Kopf vorgestellt habe. In meiner Vorstellung war er nur spärlich bekleidet und hat Dinge mit mir angestellt, die mich jetzt rot werden lassen. Ich reiße mich zusammen und setze mich auf.
Für den Bruchteil einer Sekunde fühle ich mich unbehaglich, weil wir beide nicht wissen, wie wir uns begrüßen sollen. Doch dann lächelt er mich an, sagt Hallo und hält die Autotür für mich auf. Ich klettere hinein, in der Hoffnung, dass sich die Schmetterlinge in meinem Bauch irgendwann wieder beruhigen. Möglichst bald.
Der Boden in seinem Auto ist voller Sand, der unter meinen Birkenstocksandalen knirscht. »Entschuldige das Chaos«, sagt er, als er hinter dem Lenkrad sitzt.
»Ach, sei nicht albern«, entgegne ich. Heute trägt er ein verwaschenes braunes T-Shirt mit einem rosa Emblem vorne, dazu eine lange dunkle Badehose. Unauffällig werfe ich einen Blick nach unten, ob ich mit den Schuhen recht hatte: Flip-Flops, jawohl.
Er dreht den Zündschlüssel, und schon ertönt »Oh My God« von den Kaiserchiefs aus der Anlage. Mit einer neuerlichen Entschuldigung dreht er die Lautstärke herunter.
»Das ist okay, ich mag das«, sagte ich und mache die Musik wieder lauter. Eine Minute später erfüllen Streicherklänge das Auto: »Bittersweet Symphony« von The Verve. »Toller Song … Was für ein Album ist das?«
Nathan greift an mir vorbei zum Handschuhfach. Mehrere Kassetten rutschen übereinander und fallen um ein Haar heraus. Er schnappt sich eine davon, blickt wieder auf die Straße und knallt das Handschuhfach zu, wobei er mein bloßes Knie streift. Ein schwindelerregendes Gefühl. Er drückt mir die Kassette in die Hand. Draußen ist es immer noch so dunkel, dass ich kaum etwas erkennen kann. Ich knipse das Licht an.
»Stört es dich?«, frage ich.
»Natürlich nicht.« In chaotischer kritzliger Handschrift sind ungefähr zwanzig Bandnamen und Songs aufgelistet, von denen ich die meisten kenne. Rolling Stones, Radiohead, Powderfinger, Blur … Er hat den gleichen Musikgeschmack wie ich, was eine nette Abwechslung von James ist, der meistens nur House hört. Schrecklich.
»Ich hätte total gern eine Kopie davon«, sage ich. »Du hast es wahrscheinlich nicht auf CD , oder?«
»Nein«, grinst er.
»iPod?«
»Nein«, antwortet er fröhlich.
Na ja, ist ja auch egal.
»Woher hattest du eigentlich meine Nummer?«, frage ich nach einer Weile.
»Mollys Adressbuch liegt immer neben dem Telefon in der Küche. Bevor ich gestern Morgen gegangen bin, hab ich nachgeschaut.«
Also hat er beim Aufwachen noch an mich gedacht!
»Wann bist du denn los?«
»So gegen sieben. Ich hab mich den ganzen Tag ziemlich scheiße gefühlt«, antwortet er.
»Ich hab dir ja gesagt, dass das mit dem Wodka keine gute Idee ist. Aber du wolltest ja nicht auf mich hören!«
»War aber eine schöne Nacht, oder?«
Ich nicke heftig. »Ja, es war eine schöne Nacht.«
Kurz darauf sind wir am Strand. Es ist halb sieben, die Luft ist kühl, und mit jeder Minute wird es heller. Wir steigen aus, Nathan macht das rot-weiß gestreifte Surfbrett vom Dachträger los und lehnt es gegen das Auto, ehe er ein großes blaues Boogie Board aus dem Kofferraum holt. Ob das wohl auch Amy gehört? Ich hab keine Lust zu fragen. Er gibt mir ihren Neoprenanzug, der winzig aussieht. Aber die Dinger sollen ja recht dehnbar sein, oder etwa nicht?
Auf der anderen Straßenseite ist eine kleine Schutzhütte, und ich sage Nathan, dass ich mich dort umziehe. Mir gefällt die Idee nicht, dass er mir dabei zuschaut, wie ich mich in Amys Anzug quetsche.
Das Teil ist eng, passt aber. Knapp. Ein paar Minuten später erscheint Nathan, in voller Montur.
Außer ein paar Surfern, die ich am anderen Ende ausmachen kann, ist der Strand menschenleer. Wir tapsen durch den kühlen, feuchten Sand aufs Wasser zu. Das Meer sieht heute ruhiger aus, die Wellen sind längst nicht so hoch.
»Danke, dass du mir das mitgebracht hast«, sage ich mit einer Geste zu dem Boogie Board unter meinem Arm.
»Ich war vorhin schon mal am Strand, und die Bedingungen sind nicht ideal, aber auf dem Boogie Board kommst du bestimmt gut zurecht«, antwortet er.
»Ich glaube nicht, dass ich beim richtigen Surfen besonders gut wäre.«
»O doch, bestimmt«, meint er, »Aber das dauert, und ich dachte, weil du nicht so lange hier bist …
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