Lucy in the Sky
drücke auf den kleinen roten Knopf, und das Licht auf dem Display erlischt, genau wie das Licht in meinem Herzen.
Von Sydney nach London
Sonntag: Abflug Sydney 16 . 55 Uhr
Montag: Ankunft London, Heathrow 5 . 25 Uhr
Flugdauer: 23 Stunden 30 Minuten
Das Flugzeug ist nicht mal halb voll, und der Rothaarige neben mir dreht sich um und erklärt mit einem starken deutschen Akzent, dass er sich auf die andere Seite des Ganges setzen möchte, weil es da so viele freie Sitze gibt. Er wünscht mir einen guten Flug und sucht sein Zeug zusammen. Ich sehe aus dem Fenster in den sonnigen Nachmittag. Bestimmt genießt Nathan die Party. Und Amy genießt, dass sie Nathan wieder für sich hat.
Auf dem winzigen Fernsehbildschirm vor mir ist ein kitschiger Werbefilm über Australien zu sehen. Grüne Weinberge, Wildpferde, die über eine Wiese galoppieren. Berge und Wasserfälle, dann blauer Ozean und weiße Sandstrände. Ein Surfer, der sich duckt und durchs Wasser gleitet, hinauf und hinunter über Wellenberge und Wellentäler, ehe er sich auf seinem Brett aufrichtet und sich schließlich ins Wasser fallen lässt. Genau wie Nathan, als ich ihn das erste Mal beim Surfen gesehen habe. O Gott.
Wird er Amy jemals sagen, dass er keine Beziehung mit ihr haben will? Oder will er womöglich doch? Vielleicht schaffen es Sam und Molly ja noch, ihn zu überzeugen. Dann heiraten Nathan und Amy und kriegen Kinder. Allein der Gedanke zerreißt mir das Herz. Und jetzt bin ich unterwegs, zurück zu James. Ich will ihn nicht sehen. Meine Gedanken sind so voll von Nathan, ich will James keinen Platz einräumen. Dann müsste ich Nathan loslassen, und dazu bin ich jetzt nicht bereit.
Ich hole die Kassette heraus, die er für mich aufgenommen hat, und versuche seine krakelige Handschrift zu entziffern. »Gimme Shelter« von den Rolling Stones, »Talk Show Host« von Radiohead … Ich drücke die Kassette fest an meine Brust. In Singapur muss ich mir einen Walkman kaufen, damit ich die Kassette hören kann. Ich frage mich, ob die überhaupt noch hergestellt werden. James wird denken, dass ich verrückt geworden bin. Er ist ein totaler Technikfreak.
Das Flugzeug rast über die Startbahn, drückt mich in meinen Sitz, und dann heben wir ab und steigen hinauf zum Himmel. Ich schaue auf die sonnigen Straßen und auf die Wolkenkratzer der City hinunter. Das Opera House und die Harbour Bridge sehen winzig aus. Als ich das Grün der Botanic Gardens entdecke, schließe ich die Augen und rufe mir für einen Moment in Erinnerung, wie Nathan mich beinahe geküsst hat. Er hat mich wirklich fast geküsst. Ich denke daran, wie er mein Gesicht in den Händen gehalten hat und wie seine Lippen meine gestreift haben. Erst wird mir ganz leicht ums Herz und dann ganz schwer.
Er ist weg. Es ist vorbei. Was hätte sein können, ist nicht passiert, und ich fliege nach Hause.
In einer Parallelwelt sitzt Nathan auf seinem Bett, spielt Gitarre und sieht mich an. Ich strecke die Hand aus und berühre sein Bein, er legt die Gitarre auf den Boden und zieht mich zu sich, auf seinen Schoß. Dann zieht er mich aus, zieht mir das feuchte T-Shirt über den Kopf und macht mein Bikinioberteil auf. Während er sein ausgeblichenes braunes T-Shirt abstreift, lehne ich mich zurück, bis er mich wieder an sich zieht. Er küsst mich. Er küsst meine Lippen, mein Kinn, meinen Hals. Dann nimmt er mich in die Arme, und wir küssen uns, bis ich schließlich unter ihm liege. Die Hand auf meinem Schenkel, beugt er sich über mich, schiebt meinen Rock hoch, und seine blaugrauen Augen blicken fest in meine.
Ich liebe ihn. Ich liebe ihn.
Ich könnte James verlassen und nach Australien zurückgehen. Aber ich weiß doch nicht mal, was Nathan wirklich fühlt. Empfindet er überhaupt etwas für mich? Oder irre ich mich total? Aber ich verdränge meine Zweifel und versenke mich wieder in meinen Tagtraum. Und diese Bilder sind es, die mich durch die nächsten vierundzwanzig Stunden begleiten, bis ich schließlich wieder zu Hause bin.
London
Kapitel 10
Durch die klare, dunkle Nacht fliegen wir nach Heathrow. Unter mir fließen die kleinen Städte in der Finsternis ineinander, und ihre Lichter ähneln den hellen Sternhaufen der Milchstraße. Inzwischen habe ich mit meinem neu erstandenen Walkman schon fast den zweiten Satz Batterien verbraucht, denn seit Singapur habe ich ununterbrochen Nathans Kassette gehört. Und kaum geschlafen.
Ich sehe aus dem Fenster und versuche noch einmal, die Bratpfanne
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