Lucy in the Sky
zu entdecken. In den letzten Stunden habe ich sie immer mal wieder gesucht, aber jetzt gebe ich auf. Vermutlich ist sie nur von der anderen Seite des Flugzeugs zu sehen.
Gegen halb sechs am Montagmorgen landen wir. Wenn ich nach Hause komme, ist James wahrscheinlich schon auf dem Weg zur Arbeit.
Ungefähr eine Stunde später bugsiere ich meinen Koffer mühsam in den Heathrow Express nach Paddington. Niemand bietet mir Hilfe an. Ich muss daran denken, wie Sam bei meiner Ankunft in Sydney meinen Koffer zu den Minipalmen auf seinen Truck gewuchtet hat. Das scheint schon eine Ewigkeit her zu sein, dabei sind es gerade mal zwei Wochen.
Jetzt genießen er und Molly die Flitterwochen, und in Sydney ist es fast sechs Uhr abends. Ich frage mich, was Nathan gerade macht? Ich habe meine Uhr noch nicht auf die englische Zeit umgestellt und möchte es auch noch gar nicht.
An der Paddington Station zerre ich meinen Koffer aus dem Waggon und ziehe ihn den Bahnsteig entlang, langsamer als die anderen Reisenden. Die Luft hier sieht braun aus, weil die Glaskuppel über uns so schmutzig ist, aber durch eine zerbrochene Scheibe fällt Licht herein. Draußen ist ein wunderschöner Wintertag. Obwohl wir, wie mir plötzlich einfällt, doch eigentlich schon März haben, also theoretisch Frühling.
Ich lege meinen Koffer auf den Bahnsteig, öffne den Reißverschluss und hole meinen schwarzen, knielangen Wintermantel heraus. Dann lasse ich den Bahnhofslärm hinter mir und mache mich auf den Weg zu den Taxis. Wir wohnen nur eine Viertelstunde von hier entfernt, und jetzt möchte ich nur noch nach Hause und mir eine Tasse Tee machen.
Doch da werde ich mich wohl noch etwas gedulden müssen, denn es gibt eine ewig lange Warteschlange am Taxistand – klarer Nachteil, wenn man zur Rushhour ankommt! Vielleicht könnte ich auch zu Fuß gehen? Auf dem blauen Schild vor mir steht, dass es bis Marylebone nur eine Dreiviertelmeile ist. Kein Problem! Kurz entschlossen mache ich mich auf den Weg, gehe am Hilton mit seinem schlaksigen Türsteher in Frack und Zylinder vorbei und hinüber auf den baumbestandenen Platz. Mein Koffer holpert laut über das unebene Pflaster.
Die Sonne scheint mir direkt in die Augen, sodass ich wie blind bin. Als ich die Straße überquere, kommt ein Roller um die Ecke gerast und verfehlt mich um Haaresbreite. Ich erschrecke furchtbar. Komisch, dass ich meine Sonnenbrille um diese Jahreszeit hier nötiger habe als letzte Woche in Sydney.
Inzwischen sind meine Hände fast lila vor Kälte, und ich wünsche mir, ich hätte auch Handschuhe eingepackt. Da mir die kalte Luft in der Nase wehtut, atme ich durch den Mund und produziere dabei dicke Wolken von Kohlendioxid. Allmählich denke ich, dass die Idee, zu Fuß zu gehen, doch nicht so prickelnd war. Ich sehe mich nach einem Taxi um, aber es ist keines in der Nähe. Über einem roten Backsteingebäude steigt ein Flugzeug hinauf in den Himmel. Auf einmal bin ich total verzweifelt.
Ob James zu Hause ist? Hängt wahrscheinlich davon ab, ob er ein frühes Meeting hat oder nicht. In gewisser Hinsicht hoffe ich, dass er schon weg ist, damit ich Zeit habe, meine Gedanken etwas zu sortieren. Ich weiß nicht, ob ich schon bereit bin, ihn zu sehen. Mit ihm zu sprechen. Eigentlich hätte ich ihn anrufen sollen, um zu sagen, dass ich gelandet bin. Aber ich hab noch nicht mal mein Handy wieder eingeschaltet.
Plötzlich schießt mir der Gedanke durch den Kopf, dass Nathan mir eine Nachricht hinterlassen haben könnte. Sofort bleibe ich stehen, um nachzuschauen, und wippe nervös mit dem Bein, als mir eine Stimme sagt, dass ich eine neue Nachricht habe. Aber es ist nur James, der sagt, ich soll schnell nach Hause kommen, damit er mich sehen kann, bevor er zur Arbeit muss. Niedergeschlagen stecke ich das Handy ein.
Endlich bin ich in der Marylebone Road. An einem Fußgängerüberweg warte ich auf eine Lücke im Verkehr, überquere die Straße und gehe an der alten Marylebone Station vorbei in Richtung Dorset Square. Der Platz sieht sogar im Winter hübsch aus, aber im Sommer ist er geradezu himmlisch: Laubbäume und Büsche, grünes Gras und ein paar gemütliche Parkbänke. Leider ist der Park privat, und wir haben keinen Schlüssel. Jetzt erinnere ich mich daran, wie James im letzten Sommer mal mit mir dort war.
Wir hatten gerade erst unsere Wohnung gekauft, und da wir beide jahrelang zur Miete gewohnt hatten, waren wir total aufgeregt, endlich unsere eigenen vier Wände zu besitzen.
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