Lucy kriegt's gebacken
was nichts damit zu tun hat, dass wir uns auf offenem Gewässer befinden - sondern weil ich Ethan gerade eine Chance gebe. Eine richtige Chance, nicht nur eine symbolische. Mir selbst auch, und das macht mir Angst. Meine Hände kribbeln von Zeit zu Zeit, der Kieselstein steckt tief in meinem Hals. Ich werfe Ethan einen Blick zu, der wieder lächelt. Ich lächle zurück, und es dauert nicht lange, bis mein Lächeln tatsächlich echt ist.
Wir sprechen nicht viel, und nach und nach höre ich auf, mir seinen Tod vorzustellen (der, wir ich schätze, einer heftigen Welle folgen wird, die uns vom Boot in den kalten Atlantik spült, wo wir hilflos so lange Wasser treten, bis Haie sich auf Ethan stürzen und mir nichts anderes übrig bleibt, als hilflos zu kreischen). Okay, ich kann es einfach nicht lassen, aber so nach und nach entspannen sich meine Schultern ein wenig, und meine Herzfrequenz fällt offenbar auch.
Irgendwo in der Nähe von Point Judith dreht Ethan das Boot in den Wind und holt die Segel ein, die nun friedlich im Wind flappen. Wir schaukeln sanft auf den Wellen. „Hungrig?“, fragt er. „Ich jedenfalls bin am Verhungern.“
„Klar.“ Ich stehe auf, um unser Mittagessen zu holen.
Im Schrank gibt es Teller und Gläser. Als ich zurückkomme, hat Ethan eine Decke ausgebreitet. Der Wind ist im richtigen Moment abgeklungen. Ethan betrachtet sein Sandwich. „Das sieht fantastisch aus.“
„Danke.“
„Bist du okay?“
„Klar.“ Ich schlucke und beschließe dann, ehrlich zu sein. „Ich bin nur etwas nervös.“
„Hast du Angst, ins Wasser zu fallen?“, fragt er grinsend.
„Nein.“ Mehr sage ich nicht, sehe ihn nur lange an.
Er neigt den Kopf zur Seite. „Ich bin‘s bloß, Lucy“, sagt er sanft.
„Das ist es ja.“ Ich lächle. „Aber ich komme schon darüber hinweg, keine Sorge. Es ist toll hier. Lass uns über etwas anderes sprechen.“
„Sicher.“
„Wie läuft es in deinem Job?“ Ich beiße ein Stück von meinem Sandwich ab, das, wie ich gestehen muss, furchtbar lecker schmeckt.
„Ganz okay. Aber richtig Spaß macht es mir nicht.“ Er zieht den Pulli über den Kopf, darunter trägt er ein weißes Oxfordhemd, das einen scharfen Kontrast zu seiner gebräunten Haut darstellt.
„Wieso machst du es dann?“
Er antwortet nicht sofort, beißt noch einmal von seinem Sandwich ab und blickt zum Horizont. „Ich möchte in Nickys Nähe sein“, sagt er schließlich. „Und das Gehalt ist wirklich gut. Was mich zu seinem seelenlosen Monster macht, wie mein Dad es ausdrückt.“ Er grinst. „Aber es ist irgendwie schön, jeden Monat einen vernünftigen Betrag auf Nickys Sparbuch einzahlen zu können.“
„Was er eigentlich nicht braucht, oder?“ Ich beiße mir auf die Zunge. Parker hat mal erzählt, dass Nicky bei der Geburt automatisch zehn Millionen Dollar aus dem Familienvermögen geerbt hat.
„Ich weiß“, sagt Ethan. „Aber ich möchte auch etwas für ihn ansparen. Auch wenn es nichts im Vergleich zu Parkers Vermögen ist.“
„Nun, das Wichtigste ist doch, dass du für ihn da bist. Und, Ethan, du solltest keinen Beruf haben, der dir keinen Spaß macht.“
„Wenigstens kann ich damit meine Eltern ärgern, das ist auch nicht zu verachten.“ Er hat einen beiläufigen Ton angeschlagen.
„Seine Eltern zu ärgern kann sich nicht gut anfühlen“, bemerke ich.
Er trinkt einen Schluck Limonade. „Eigentlich schon. Ich meine, sie haben mich schließlich in all den Jahren auch ganz schön geärgert.“
„Inwiefern?“
Er betrachtet mich einen Moment. „Im Vergleich zum Heiligen Jimmy war ich immer nur der Zweitbeste.“
Ich schlucke schwer. „Das ist nicht wahr, Ethan. Du musst aufhören, so etwas zu glauben, weil es einfach nicht stimmt.“
Er beißt in sein Sandwich. „Tja. Vielleicht hast du recht. Du sprichst öfter mit ihnen als ich.“ Er zögert. „Hast du ihnen von uns erzählt?“
„Ähm, nein. Hab ich nicht. Und du?“
„Nein. Du sagtest, du wolltest noch warten. Also warte ich.“
Ich hole tief Luft. „Ich sollte es ihnen sagen. Vielleicht nehmen sie es von mir besser auf.“
„Klingt gut.“ Eine Windbö zerzaust sein Haar, und er sagt nichts mehr.
Inzwischen bin ich mit dem Sandwich fertig und mache mich über die Chips her. Eine Möwe kreist über uns, wahrscheinlich hat sie die Marke erkannt. Ich werfe ein paar Chips ins Wasser, und die Möwe stürzt herab.
„Das war ein Fehler“, meint Ethan. Sofort tauchen aus dem Nichts vier weitere
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