Lucy kriegt's gebacken
Karamellkruste. Danach kamen ein paar Schälchen Mousse au Chocolat dran, mit Bitterschokolade für den richtigen Biss. Dann schnell Bananas Foster, ein so herrlich einfaches und doch köstliches Dessert. Ich musste lachen, als ich die Bananen flambierte, stellte aber beim Probieren fest, dass ich etwas zu viel Muskatnuss genommen hatte. Jetzt rühre ich gerade die Frischkäseglasur für einen Karottenkuchen zusammen, der bereits im Ofen ist.
„Wie ich sehe, waren wir fleißig.“ Ethan betrachtet mit erhobenen Augenbrauen meine Küche. Jede Rührschüssel, die ich besitze, ist im Einsatz, die Arbeitsfläche ist überall mit Mehl bestäubt, in der Spüle stapeln sich Teller, und es duftet wie im Himmel. Wie in einer Konditorei.
„Hast du Hunger?“, frage ich.
„Und wie“, sagt er. Ich gebe ihm eine Crème brulée und eine anständige Portion Bananas Foster. Ich beobachte ihn beim Essen, und als er mir einen Löffel anbietet, öffne ich gehorsam den Mund. „Schön, dass du deine eigenen Nachspeisen wieder essen kannst“, sagt er und wischt mir ein bisschen Sahne aus dem Mundwinkel.
„Mehr als schön.“
Er fragt nicht, seit wann das so ist. Vielleicht braucht er das nicht. Vielleicht weiß er es auch so. „Es schmeckt unglaublich“, sagt er bloß und deutet auf seinen Teller.
Ich lächle. „Danke.“
Dann wasche ich mir die Hände und lege die Schürze ab. Als ich an Ethan vorbeigehe, zerzause ich ihm das Haar, und er packt meine Hand und zieht mich an sich, um mich zu küssen. Ich zögere einen Moment, dann erwidere ich seinen Kuss. Schätze, ich muss mich einfach noch daran gewöhnen, das ist alles.
Danach setzen wir uns ins Wohnzimmer und sehen uns an. „Möchtest du vielleicht Scrabble spielen?“, frage ich, erfasst von einer Mischung aus Nervosität und Lust.
„Sicher“, sagt er grinsend. „Hey, was ist das?“
An der Couch lehnt ein rechteckiges in braunes Papier gewickeltes Päckchen. Mist. Das Ding hatte ich ja ganz vergessen. Ash hat es für mich entgegengenommen und mir eine Nachricht hinterlassen. „Ähm … also, eigentlich ist es für dich.“ Ich kaue an meinem Daumennagel.
Ethan hebt die Augenbrauen. „Ehrlich?“
Ich schlucke. „Ja. Ich … ich hätte nicht gedacht, dass es so schnell fertig wird. Ich dachte, es würde etwas länger dauern …“
„Kann ich es aufmachen?“ Er lächelt mich glücklich an. Ich fürchte, dass heute vielleicht nicht der beste Tag für dieses spezielle Geschenk ist. Andererseits vielleicht doch.
„Klar.“
Ethan setzt sich mit dem Geschenk in den Sessel, reißt das Papier ab, wickelt dann den Rahmen aus dem Seidenpapier und dreht ihn um, um sich das Foto anzusehen. Sein Gesicht friert ein. Ich warte auf eine Reaktion. Es kommt keine. Er sitzt einfach nur im Sessel und starrt regungslos sein Geschenk an.
Das erste Foto habe ich von Marie bekommen, als wir vor ein paar Wochen ihre Sachen gepackt haben - Jimmy und Ethan am Strand. Jimmy war zwölf, Ethan sieben. Die beiden Jungen stehen an der Brandung, Jimmy hat den Arm um seinen viel kleineren Bruder gelegt. Man sieht, dass Jimmy einmal sehr groß werden würde - seine Schultern sind schon recht breit, und sein Gesicht ist genauso offen und freundlich wie bis zum Ende seines kurzen Lebens. Sein Haar ist von der Sonne ausgebleicht, ein paar Sommersprossen sprenkeln seine Nase. Ethan hingegen ist ein dürrer kleiner Kerl, dunkel wie ein Zigeuner. Auf dem Bild lacht er, seine beiden Schneidezähne fehlen. Sein Haar ist nass, seine Haut sandig.
Auf dem unteren Foto sind ebenfalls Jimmy und Ethan zu sehen. Es wurde an unserem Hochzeitstag gemacht, und wieder hat Jimmy den Arm um Ethans Schulter gelegt. Jimmy strahlt, Ethan sieht verschmitzt aus mit den erhobenen Augenbrauen, als wollte er sagen: Guckt euch mal diesen glücklichen Idioten hier an. Ich liebe dieses Foto. Jimmy hat es auch geliebt.
Ethan hat noch immer keinen Ton gesagt.
„Ethan?“, frage ich leise. Er sieht auf und räuspert sich.
„Danke“, sagt er wenig überzeugend.
„Ich … Du hattest keine. Fotos. Von Jimmy, meine ich.“ Irgendetwas liegt mir jetzt ziemlich schwer im Magen, ich wünschte, ich hätte heute Abend nicht drei Desserts verschlungen.
„Richtig. Tja. Das ist sehr nett von dir, Lucy.“ Seine Stimme klingt merkwürdig formell. Wieder betrachtet er die Bilder, dann reibt er sich über die Stirn.
Die Zeitschaltuhr in der Küche klingelt, ich entschuldige mich, froh über die Unterbrechung. Der Kuchen
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