Lucy kriegt's gebacken

Gewehrkugeln. Ich beuge mich vor, presse den Kopf zwischen die Knie und starre auf die ausgespuckten Kaugummis und Sonnenblumenkerne auf dem Zementboden. Meine Gedanken sind in etwa so hässlich wie dieser Anblick.
    „Lucy?“
    Ich richte mich hastig auf, alles verschwimmt vor meinen Augen und wird dann wieder klar. Ethan steht in dem dämmrigen Abendlicht vor mir.
    „Liebling, was ist denn los?“ Er kniet sich vor mich.
    „Du bekommst Kaugummi an deine Hose“, höre ich mich aus weiter Ferne sagen.
    „Lucy.“ Er schüttelt mich leicht. „Was ist passiert, Liebes?“
    Ich lege einen Moment lang den Kopf auf Ethans Schulter und spüre, wie er über mein Haar streicht. „Lucy“, murmelt er. „Was ist geschehen?“
    Ich hebe den Kopf, um ihm in die Augen zu sehen. „Wusstest du das von Jimmy und Doral-Anne?“
    Er zögert, und das reicht mir als Antwort. Die Wut in mir formt sich zu einem Feuerball.
    „Du wusstest es?“, schreie ich. „Du wusstest es, ja?“
    Seufzend schaut er zu Boden. Und nickt.
    Etwas Hässliches windet sich in meinem Bauch. „Sie hat es seit Jahren auf mich abgesehen, und du hast nie einen Ton gesagt?“ Jetzt brülle ich fast. „Ich fasse es nicht! Diese Frau hasst mich, sie lässt keine Gelegenheit aus, auf mir herumzutrampeln, wenn ich sowieso schon am Boden liege, und du hast kein Wort gesagt? Was zum Teufel soll das, Jimmy?“
    Ethan starrt mich an. „Ethan“, sagt er mit harter Stimme.
    „Was?“
    „Ethan. Du hast gerade Jimmy zu mir gesagt.“
    Der Kieselstein in meinem Hals fühlt sich jetzt wie ein bösartiger Tumor an, der mir die Luft abschneidet. „Ich bin im Moment ein wenig aufgebracht, Ethan . Doral-Anne hat mich gerade wissen lassen, dass sie mit Jimmy geschlafen hat.“
    „Und?“ Seine Stimme klingt merkwürdig kalt.
    „Und ? Und … und der Jimmy, den ich kannte, hätte nie etwas mit jemandem wie Doral-Anne angefangen“, schreie ich wütend.
    „Wieso?“
    „Weil! Weil sie giftiger als Gift ist, und er war wunderbar. Sie war einfach nicht sein Typ.“
    Ethan erhebt sich. „Richtig. Du warst sein Typ. Er hat sie für dich sitzen lassen. Wo ist das Problem?“
    Ich schüttle sprachlos den Kopf. Das Problem? Das Problem ist, dass ich mir Jimmy - meinen Jimmy - nicht mit so einer billigen kleinen Nummer wie Doral-Anne mit ihrer Schlangentätowierung vorstellen will. Nicht vorstellen will, wie er sie küsst und, oh Gott, sie auszieht! Igitt! Und hatte er wirklich gesagt, dass er sie heiraten wollte?
    „Lucy“, sagt Ethan müde. „Jimmy hat sich in der Sekunde in dich verliebt, in der er dich zum ersten Mal gesehen hat. Und du dich in ihn.“ Er hebt frustriert die Arme in die Höhe. „Worüber beschwerst du dich? Für Doral-Anne war es hart …“
    „Klar. Die arme, missverstandene Doral-Anne.“ Ich erhebe mich mit zitternden Knien. „Ich gehe nach Hause. Sag den anderen, dass ich es leider nicht geschafft habe.“
    „Lucy …“
    „Ethan, ich möchte jetzt wirklich allein sein. Okay?“ Ich werfe mir die Baseballtasche über die Schulter, überquere das Spielfeld und beginne meinen merkwürdigen Heimweg. Raus aus dem Park, um den Friedhof herum. Mein Herz wird schwer, als ich die Stelle erreiche, wo mein Vater begraben liegt. In diesem Moment könnte ich einen Dad wirklich gut gebrauchen. Ich frage mich, ob Joe Torre einen Anruf von mir entgegennehmen würde.
    Er wollte mich heiraten .
    Wie kann es nur sein, dass ich nie etwas davon erfahren habe? Jimmy hat es vor mir verheimlicht. Gianni und Marie müssen auch davon gewusst haben.
    Genauso wie Ethan. All diese Jahre. Er hat sich mit Doral-Anne angefreundet und es nicht für nötig befunden, mir zu sagen, weshalb. Nun, denke ich zornig und reibe mir heftig die Augen, die Ehefrau ist ja immer die Letzte, die so etwas erfährt.
    Eine Stunde später sitze ich auf meiner Couch, Fat Mikey auf einer Seite, eine Packung Hostess-Cupcakes auf der anderen, drei leere Einwickelpapiere auf dem Boden. Ich starre blicklos vor mich hin. Auf dem Fernsehbildschirm sehen Jimmy und ich uns lächelnd in die Augen, wir küssen uns und lachen. Er hat für unseren ersten Tanz „Angel“ von Dave Matthews ausgewählt. Wherever you are, I swear, you‘ll be my angel . Natürlich sollte ich der Engel sein - nach dem romantischen Motto: Ich kann einfach nicht fassen, wie wunderbar du bist. Und Jimmy sollte lange leben und mich lieben. Er sollte mich nicht verlassen. Und obwohl er mich damals noch nicht kannte, sollte er