Lucy kriegt's gebacken
würde niemals so alt werden. Ich war achtundzwanzig, verwitwet, kinderlos, molliger und blasser als zuvor. Mein Leben mit Jimmy war so wunderschön gewesen, und jetzt war es einfach nur beschissen. Ich backte Brot, anstatt herrliche Desserts zu kreieren. Ich war nicht auf der Titelseite von „Bon Appetit“ und saß nicht in der Jury von „Top Chef“. In der Welt der Konditoren war ich ein Nichts, ich war niemandes Frau, niemandes Mutter, und nichts davon würde sich in naher Zukunft ändern. Zwar hatte ich es irgendwie geschafft, weiterzuleben, aber es machte keinen Spaß. Sie verstehen schon.
Als die schwarzen Witwen an diesem Morgen in die Bäckerei kamen, sagte ich ihnen, dass ich heute früher gehen würde. Bisher hatte ich nie auch nur einen Tag freigenommen, denn das Letzte, was ich wollte, war zu viel Zeit zum Nachdenken zu haben. Iris schaute mir ängstlich in den Mund, auf der Suche nach Anzeichen des Lou-Gehrig-Syndroms, einer degenerativen Erkrankung des motorischen Nervensystems, auch ALS genannt. Rose bot mir eine ihrer „Aufmunterungspillen“ an, doch ich lehnte ab (nicht sicher, ob es sich dabei um Tic Tac handelte, um Erkältungsmittel oder Prozac). Meine eigene Mutter sagte nichts, weil sie vermutlich wusste, wovor ich davonlaufen wollte.
Die Tanten flatterten um mich herum wie besorgte Hennen. Nach einer langen Diskussion konnte ich sie davon überzeugen, dass ich höchstwahrscheinlich nicht unter ALS litt. Dass ich einfach nur etwas melancholisch war und etwas Veränderung bräuchte. Meine Mutter umarmte mich - was selten vorkam -, sagte, dass wir am nächsten Tag meinen Geburtstag feiern würden, und Iris bot mir ihren korallenfarbenen Lippenstift an (Coral Glow, die Farbe trägt sie seit fünfzig Jahren, und sie erinnert eher an einen nuklearen Unfall als an etwas von Gott Geschaffenes). Ich legte ihn trotzdem auf - konnte ja nicht schaden, richtig? - und ging nach Hause.
Meine Stimmung verdüsterte sich, als ich am Park entlangging. Im Park befand sich Jimmys Grab, der unumstößliche Beweis dafür, dass er nicht mehr lebte. Anfangs hatte ich all die typischen Phasen der Trauer durchlebt, mir immer wieder Szenarien ausgedacht, in denen Jimmys Tod sich als Irrtum herausstellte. Dass er doch angehalten hatte, zum Beispiel an einem Motel. Dann wurde sein Auto gestohlen, und in Wahrheit war der Dieb bei dem Unfall ums Leben gekommen und nicht Jimmy. (Die Tatsache, dass ich Jimmys Leiche gesehen hatte, überging ich dabei großzügig). Oder dass Jimmy für die CIA gearbeitet hatte, sein Tod nur vorgetäuscht worden war und ich bald einen Anruf aus Simbabwe oder Moskau bekäme. Oder dass, wenn ich nur tapfer und stark genug wäre, Jimmy zurückkäme, um mir zu sagen, wie toll ich das alles hingekriegt hätte, dass ihm die Unannehmlichkeiten leidtäten und ich mich jetzt wieder entspannen und mit unserem gemeinsamen glücklichen Leben weitermachen könne.
Auch diesmal zwang ich mich, in die ungefähre Richtung seines Grabes zu blicken, und erneut tauchten diese magischen Gedanken auf. „Willst du wirklich zulassen, dass ich älter werde als du?“, fragte ich laut. „Jimmy? Bist du dir da ganz sicher?“
Keine Antwort. Mit einem Kloß im Hals ging ich weiter.
In meiner Wohnung war es dunkel, weil ich die Rollläden nicht geöffnet hatte. Ich beschloss, sie unten zu lassen, zu traurig für Sonnenschein. Dann stolperte ich über Fat Mikey und erntete dafür ein wütendes Fauchen. Ich seufzte. Zehn Uhr morgens an dem Tag, an dem ich offiziell älter werden würde als mein verstorbener Mann. Bitte, lieber Gott, lass das nächste Jahr besser werden, betete ich; lass mich ein bisschen Spaß haben. Gott wusste nämlich sehr gut, dass es davon seit Jimmys Tod nun wirklich nicht viel gegeben hatte.
Ja. Ich straffte die Schultern. Das nächste Jahr - und alle Jahre danach - sollten Spaß machen. Jede Menge Spaß, um genau zu sein. Jimmy würde nicht zurückkommen, dieser egoistische Mistkerl (die Wut, auch eine typische Trauerphase, hob inzwischen ab und zu ihren hässlichen Kopf). Ich würde mich amüsieren, verdammt noch mal. Das hatte ich verdient, oder nicht? „Ich habe etwas Spaß verdient, Fat Mikey, findest du nicht?“, fragte ich meinen Kater. Er zuckte zustimmend mit dem Schwanz und gähnte dann.
„Du hast recht“, sagte ich. „Niemand hat das mehr verdient als eine tragische Witwe. Du bist wirklich ein kluger Kater.“
Nachdem dieses Problem gelöst war, öffnete ich den
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