Lucy kriegt's gebacken
Er nickt. „Also, Jorge, wie findest du Rose? Sie möchte wieder anfangen, mit Männern auszugehen.“
„Ach, pst, Lucy.“ Rose kichert. „Jorge ist nur ein guter Freund.“
Jorge grinst sie an, seine Goldzähne funkeln.
Ich trete genau in dem Moment durch die Schwingtür, als meine Mutter in die Backstube kommt. „Lucy, Liebling, warte …“
Ich bleibe beim Anblick des Mannes vor der Verkaufstheke wie angewurzelt stehen.
Es ist Jimmy.
Meine Knie knicken ein, Mom hält mich gerade noch rechtzeitig fest, bevor ich falle.
Natürlich ist es nicht Jimmy. Aber beinahe, und ich bin offenbar nicht die Einzige, die so denkt. Rose tupft sich bereits eine Träne weg, und Iris hat eine Hand auf ihr Herz gepresst.
Matt DeSalvo - irgendwann hat er uns seinen Namen genannt - ist groß und breitschultrig. Sein schmutzig blondes Haar ist kurz geschnitten. Er hat ein breites, offenes Lächeln und kantige Gesichtszüge. Matt hat ein Grübchen, was Jimmy nicht hatte. Matts Augen sind blau - nicht so auffallend blaugrün wie Jimmys, eher richtig blau. Und er trägt einen Anzug, was Jimmy selten getan hat.
Und doch. Die Ähnlichkeit ist schockierend.
Wir sitzen uns am Tisch in der Backstube gegenüber. Mom kocht Tee, während Rose wiederholt erklärt, dass ich bleich wie die Wand wäre. Was mich nicht wundert, nachdem ich gerade quasi einen Geist gesehen habe. Meine Hände zittern, ich schwitze leicht.
Nach Jimmys Tod habe ich ihn immer wieder irgendwo entdeckt. Ich weiß von meiner Mutter und meinen Tanten und auch aus der Trauergruppe, dass es nicht ungewöhnlich ist, seinen verstorbenen Mann zu sehen. Einmal fuhr ich von New London nach Hause, und vor mir ging ein Mann über die Straße. Er sah Jimmy so ähnlich, dass ich eine Kehrtwendung machte, um ihn zu finden. Eine halbe Stunde lang habe ich ihn mit laut hämmerndem Herzen gesucht, Tränen schossen mir in die Augen. Ein anderes Mal, als ich nach Nickys Geburt aus dem Krankenhaus kam, hörte ich Jimmy so laut und deutlich lachen, dass ich glaubte, seine Seele wäre zurück auf die Erde gekommen, um seinen neugeborenen Neffen zu besuchen.
Aber Jimmys Doppelgänger am Tisch direkt gegenüber zu sitzen - das ist überwältigend. Bevor ich ohnmächtig werden konnte, hat meine Mutter ihm die Sache mit der Ähnlichkeit erklärt, danach hat Matt mir sehr freundlich in die Backstube geholfen, wo ich auf einen Stuhl sank und den Kopf zwischen die Knie presste.
Noch einmal wische ich mir die Tränen weg und putze meine Nase. „Tut mir leid“, wiederhole ich.
„Das ist doch völlig verständlich“, entgegnet Matt freundlich. Seine Stimme klingt überhaupt nicht nach Jimmy, was schon etwas hilft. Und aus der Nähe ist die Ähnlichkeit auch nicht mehr so frappierend. Matts Nase ist etwas länger, sein Kinn runder. Und doch. Er sieht Jimmy ähnlicher als jeder andere Mensch, den ich je getroffen habe. Er sieht mehr wie Jimmys Bruder aus als Ethan.
„Wie lange ist es her?“, fragt er.
„Fünfeinhalb Jahre.“ Wieder werfe ich ihm einen ungläubigen Blick zu.
„Es war eine Tragödie“, verkündet Iris.
„So tragisch“, zwitschert Rose gleichzeitig.
„Warum geht ihr Mädchen nicht mal kurz zu Starbucks“, schlägt Mom mit scharfer Stimme vor. „Lucy könnte einen Kaffee brauchen. Einen von diesen teuren, albernen Dingern. Geht. Husch.“
Die Tanten, gekränkt über den Rauswurf, tun wie ihnen geheißen, und Matt erhebt sich höflich, als sie gackernd ihre Jacken anziehen. Ich nutze diesen Moment, um mich wieder den Griff zu bekommen, wobei meine Hände noch immer zittern.
„Und wie ist Ihr Mann gestorben?“, fragt Matt. Meine Mutter, die diese Frage offenbar als zu persönlich erachtet, klappert laut mit dem Wasserkessel. Obwohl sie die Tanten weggeschickt hat, würde sie niemals im Leben ebenfalls gehen.
„Durch einen Autounfall“, erkläre ich tonlos.
„Das tut mir so leid.“ Er sagt das genau richtig, sieht mir dabei direkt in die Augen, ohne zusammenzuzucken. Mitgefühl, kein Mitleid. Das ist ein riesiger Unterschied, und wir Witwen wissen das wirklich zu schätzen, glauben Sie mir. „Sie müssen schrecklich jung gewesen sein.“
„Vierundzwanzig“, murmle ich.
Meine Mom stellt das Teetablett mit einem Knall vor uns ab. „Also, was bringt Sie ins Bunny‘s, Mr. DeSalvo?“ Sie setzt sich neben mich, zupft an ihrem maßgeschneiderten, kurzen Blazer, schlägt die Beine übereinander und wackelt mit dem Fuß, dass ihr hochhackiger Schuh
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