Lucy Sullivan wird heiraten
jede Ängstlichkeit beiseite gefegt. »Immerhin tun wir dir ’nen Gefallen.«
»Hab ich richtig gehört?« fragte Karen von oben herab. »Sag das doch bitte noch mal – ihr tut mir einen Gefallen? Da lachen ja die Hühner. Aber bitte, laß alles stehen und liegen. Erwarte dann aber nicht, daß du und Gus morgen mit bei mir am Tisch sitzt.« Das stopfte mir den Mund.
Gus war vor Begeisterung über die Einladung geradezu aus dem Häuschen gewesen. Vor allem die Aussicht, daß wir uns alle fein anziehen würden, hatte ihm gefallen. Er wäre bitter enttäuscht, wenn er wieder ausgeladen würde. Also schluckte ich meinen Zorn herunter. Wieder ein Schritt auf dem Weg zum Magengeschwür.
»Ich trink jetzt ’nen Schluck Wein«, sagte ich wütend und griff nach einer der Flaschen im Kühlschrank. »Was ist mit dir, Charlotte?«
»Laß die Finger davon!« knurrte Karen. »Der ist für morgen abend... ach was, von mir aus. Gieß mir gleich ein Glas mit ein.«
So arbeiteten wir bis spät in die Nacht, schälten, schabten, schnitten, rieben, schlugen, buken, stellten Füllungen her und verzierten Gebäck mit der Spritztülle.
Wir schafften so viel, daß Karen beinahe so etwas wie Anerkennung gezeigt hätte. Das aber hielt nur etwa zwei Sekunden lang vor. »Vielen Dank, ihr beiden«, sagte sie und beugte sich vor, um etwas aus dem Herd zu nehmen.
»Wie bitte?« fragte ich, so müde, daß ich Dinge zu hören glaubte, die nicht gesagt worden waren.
»Ich hatte ›Danke‹ gesagt«, sagte sie. »Ihr seid beide sehr freundl... Großer Gott! Weg, weg!« brüllte sie, stieß mich mit einem Fußtritt beiseite und ließ ein Blech mit Spritzgebäck fallen, das prompt in den Ratatouille-Topf fiel. »Ich hab mich verbrannt!« keuchte sie. »Durch die verdammten Mist-Ofenhandschuhe durch!«
Gegen zwei Uhr nachts kam ich endlich ins Bett. Meine Hände waren aufgerissen und zerschnitten, und ich stank nach Knoblauch und Drambuie. Mein schönster Fingernagel, den ich über Jahre gehegt und gepflegt hatte, war gesplittert und abgebrochen.
39
N ur gut, daß ich am nächsten Morgen in der U-Bahn einen Sitzplatz bekam, denn ich war so erschöpft, daß ich mich andernfalls glatt auf den Fußboden gelegt hätte. Während der ganzen Fahrt unterhielten Charlotte und ich uns darüber, was für ein mieses Weib Karen unserer Ansicht nach war. »Für wen hält die sich eigentlich?« fragte Charlotte und gähnte.
»Genau«, gähnte ich zurück, auf meinen Sitz gelümmelt. Dabei sah ich, wie schmutzig und abgestoßen meine Schuhe waren, und das deprimierte mich. Ich setzte mich gerade hin, damit ich sie nicht sehen konnte, mußte dafür aber den gräßlichen Mann mir gegenüber ansehen, der die Augen auf Charlottes Busen geheftet hatte. Jedesmal, wenn sie gähnte, wobei sich ihr Brustkorb weitete, blitzte in seinem Blick Begierde auf. Am liebsten hätte ich ihm seine Zeitung um die Ohren gehauen.
Es war wohl besser, sicherheitshalber für den Rest der Fahrt die Augen zu schließen.
»Das mit Karen und Daniel kann nicht lange dauern«, erklärte Charlotte unsicher. »Bestimmt hat er sie bald satt.«
»Hmm«, stimmte ich zu und öffnete die Augen für ein paar Sekunden. Bevor ich sie wieder schließen konnte, war mein Blick auf ein Plakat an der Wand einer U-Bahn-Station gefallen, das unter dem herzzerreißenden Foto eines unglücklich dreinschauenden dürren Hundes zu Spenden für mißhandelte Tiere aufrief.
Die Arbeit im Büro war fast eine Erholung, trotz der spöttischen Anspielungen Meredias und Megans, die sich nicht davon abbringen ließen, ich hätte die Nacht in einem einschlägigen Lokal durchgezecht.
»Ist doch gar nicht wahr«, wendete ich schwach ein.
»Das kannst du deiner Großmutter erzählen«, schnaubte Megan. »Sieh dich doch nur an.«
Kaum hatte ich am Freitagabend den Schlüssel ins Schloß der Wohnungstür gesteckt, als Karen in die Diele kam. Sie hatte sich den Nachmittag frei genommen, um zum Friseur zu gehen und aufzuräumen. Sofort fing sie an, mich herumzukommandieren.
»Du mußt dich sofort duschen und umziehen, Lucy. Ich will noch mal alles genau mit dir durchgehen.«
Die Wohnung sah fabelhaft aus, das mußte ihr der Neid lassen. Überall standen frische Blumen. Auf der häßlichen Resopalplatte des Küchentischs lag ein blütenweißes Tischtuch, und in der Mitte prangte ein herrlicher Leuchter mit acht roten Kerzen.
»Ich wußte gar nicht, daß wir so einen Leuchter haben«, sagte ich und überlegte,
Weitere Kostenlose Bücher