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Lucy Sullivan wird heiraten

Lucy Sullivan wird heiraten

Titel: Lucy Sullivan wird heiraten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marian Keyes
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dreißig Kilometer, sondern auch fünfzig Jahre.
    Zwar fühlte ich mich einer Begegnung mit ihr nicht wirklich gewachsen, doch hatte ich das Gefühl, daß ich nicht kneifen durfte, denn ich hatte sie seit Anfang des Sommers nicht mehr gesehen. Das war zwar nicht meine Schuld, denn ich war unheimlich oft im Haus meiner Eltern gewesen, na ja, ein oder zwei Mal, aber da war nur Dad dagewesen.
    Ich ließ mich breitschlagen, mich mit ihr zum Lunch zu treffen, drückte das aber anders aus, weil ich nicht annahm, daß sie mit der Vorstellung von ›Lunch‹ etwas anfangen konnte. Sie war eher die Frau, die mittags eine Tasse Tee trinkt und ein Schinkenbrot ißt.
    »Wir könnten uns um eins im Lokal gegenüber von meinem Büro treffen«, sagte ich. Sie aber sah in der Vorstellung, dort allein auf mich zu warten, eine Zumutung.
    »Was sollen die Leute denken?« fragte sie besorgt.
    »In Ordnung«, seufzte ich. »Ich geh zuerst hin, dann mußt du nicht allein da warten.«
    »Aber nein«, sagte sie, anscheinend von Panik ergriffen, »das ist doch genauso schlimm – eine alleinstehende Frau in einer Kneipe...«
    »Was ist daran schlimm?« spottete ich und sagte ihr, daß ich ständig in Kneipen ging, hörte aber rechtzeitig auf, bevor sie zu lamentieren begann: »Was für ein Straßenmädchen hab ich da nur aufgezogen?«
    »Wir könnten uns doch irgendwo treffen, wo man eine Tasse Tee trinken kann«, regte sie an.
    »Na schön. Es gibt ein Café in der Nähe.«
    »Nichts Hochgestochenes«, unterbrach sie mich besorgt. Wahrscheinlich fürchtete sie, an einem Tisch zu sitzen, auf dem fünf verschiedene Gabeln lagen und sie nicht wüßte, welche von ihnen man wofür nahm. Aber sie hätte sich keine Sorge zu machen brauchen, denn auch ich fühlte mich in dieser Art Lokalität nicht besonders wohl.
    »Es ist nicht hochgestochen«, sagte ich, »sondern hübsch und gemütlich.«
    »Und was gibt es da?«
    »Ganz normale Sachen«, versicherte ich ihr. »Belegte Brote, Käsekuchen und so was.«
    »Auch Schwarzwälder Kirschtorte?« fragte sie hoffnungsvoll. Davon hatte sie schon gehört.
    »Wahrscheinlich«, sagte ich. »Auf jeden Fall was sehr Ähnliches.«
    »Und holt man sich seinen Tee an der Theke oder...«
    »Du setzt dich an einen Tisch und gibst der Bedienung deine Bestellung auf.«
    »Und kann ich da einfach reingehen und mich hinsetzen, wo ich will, oder muß ich...«
    »Warte, bis man dir einen Tisch anweist«, riet ich ihr.
    Als ich kam, war sie schon da und saß so unbehaglich am Tisch wie eine Hinterwäldlerin, die für einen Tag in die Stadt gekommen ist. Es sah ganz so aus, als hätte sie das Gefühl, sich von Rechts wegen dort nicht aufhalten zu dürfen. Sie trug ein nervöses Lächeln zu Schau, mit dem sie aller Welt verkündete, daß es ihr gutgehe, und umklammerte ihre Handtasche, um sie gegen die Taschenräuber zu verteidigen, von denen es in London nur so wimmelte, soweit sie gehört hatte. »Ich laß mir nichts gefallen«, schienen ihre entschlossenen kleinen Hände zu sagen.
    Sie hatte sich ein wenig verändert, wirkte schlanker und jünger als sonst. Diesmal hatte Peter recht gehabt – sie hatte tatsächlich etwas Merkwürdiges mit ihren Haaren angestellt. Aber es stand ihr, wie ich widerwillig zugeben mußte.
    Auch an der Art, wie sie sich kleidete, fiel mir etwas auf. Es war... es war... ja, was war es? Es war ganz anständig.
    Als Krönung des Ganzen hatte sie Lippenstift aufgelegt. Das tat sie sonst höchstens bei Hochzeiten, und gelegentlich bei Beerdigungen, wenn sie den Toten zu Lebzeiten nicht hatte ausstehen können.
    Ich setzte mich ihr gegenüber, lächelte unbeholfen und fragte mich, was sie mir wohl erzählen wollte.

62
    S ie stand im Begriff, meinen Vater zu verlassen. Das hatte sie mir sagen wollen (wahrscheinlich stelle ich die Situation falsch dar, wenn ich sage, daß sie es mir sagen wollte, genauer wäre, daß sie es mir sagen mußte).
    Der Schock verursachte mir buchstäblich Übelkeit. Es überraschte mich, daß sie mit der Neuigkeit wartete, bis ich mir ein belegtes Brot bestellt hatte, denn jede Art von Verschwendung war ihr ein Greuel.
    »Das glaub ich nicht«, krächzte ich und suchte in ihrem Gesicht nach einem Hinweis, daß nicht stimmte, was sie gesagt hatte. Aber ich sah lediglich, daß sie sich Lidstriche gemalt hatte, und daß die krumm waren.
    »Es tut mir leid«, sagte sie schlicht.
    Es kam mir vor, als breche meine Welt zusammen, und das verwirrte mich. In meinen Augen war

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