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Lucy Sullivan wird heiraten

Lucy Sullivan wird heiraten

Titel: Lucy Sullivan wird heiraten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marian Keyes
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ich eine unabhängige sechsundzwanzigjährige Frau, die das Elternhaus verlassen, sich auf die eigenen Füße gestellt hatte und sich nicht im geringsten für die sexuellen Faxen ihrer Eltern interessierte. Aber in jenem Augenblick spürte ich Angst und Zorn wie eine verlassene Vierjährige.
    »Aber warum nur?« fragte ich. »Warum verläßt du ihn? Wie kannst du das tun?«
    »Unsere Ehe hat seit vielen Jahren nur noch dem Namen nach bestanden, mein Kind. Das mußt du doch gewußt haben«, sagte sie, erkennbar darauf bedacht, daß ich ihr zustimmte.
    »Wußte ich nicht«, sagte ich. »Das ist mir völlig neu.«
    »Das mußt du gewußt haben, mein Kind«, beharrte sie.
    Ihr ›mein Kind‹-Getue ging mir ebenso auf die Nerven, wie daß sie mir immer wieder um Verständnis flehend eine Hand auf den Arm legte.
    »Hab ich aber nicht«, beharrte ich. Auf keinen Fall würde ich ihr zustimmen, ganz gleich, worum es ging.
    Was wird da gespielt? fragte ich mich entsetzt. Die Eltern anderer Leute mochten sich trennen, aber doch nicht meine. Allein schon deshalb nicht, weil sie katholisch waren.
    Ausschließlich das Aufrechterhalten eines Familienlebens hatte mich bisher dazu veranlaßt, mich so lange mit dem Katholizismus meiner Eltern und dem ganzen dazugehörigen Brimborium abzufinden. Zwischen uns bestand eine wortlose Absprache. Zu meiner Rolle gehörte unter anderem, daß ich jeden Sonntag zur Messe ging, zu Verabredungen keine Lacklederschuhe trug und alljährlich während der vorösterlichen Fastenzeit vierzig Tage lang auf Konfekt verzichtete. Als Gegenleistung sollten meine Eltern zusammenbleiben, auch wenn sie einander nicht ausstehen konnten.
    »Arme Lucy«, seufzte sie. »Du hast dich unangenehmen Dingen nie stellen können, was? Wenn es hoch herging, bist du immer davongelaufen oder hast die Nase in ein Buch gesteckt.«
    »Was soll der Scheiß«, sagte ich wütend. »Hack nicht ständig auf mir rum. Schließlich bist du diejenige, die unrecht hat.«
    »Entschuldige bitte«, sagte sie sanft, »ich hätte das nicht sagen sollen.«
    Das erschreckte mich nun wirklich. Es war eine Sache, daß sie mir sagte, sie werde meinen Vater verlassen, aber daß sie sich bei mir entschuldigte, war noch nie vorgekommen. Eher hatte ich damit gerechnet, daß sie mich – wie üblich – rügte, weil ich ungehörige Wörter benutzt hatte.
    Krank vor Entsetzen sah ich sie mit aufgerissenen Augen an. Die Sache mußte außergewöhnlich ernst sein.
    »Dein Vater und ich lieben einander schon seit Jahren nicht mehr, mein Kind«, sagte sie noch freundlicher. »Es tut mir leid, daß dich das so mitnimmt.«
    Ich brachte kein Wort heraus. Ich mußte mit ansehen, wie mein Elternhaus zerstört wurde, und ich mit ihm. Meinem Selbstgefühl nach existierte ich ohnehin kaum. Ich fürchtete, daß ich mich vollständig in Luft auflösen würde, wenn eine der Hauptstützen zerbröckelte, auf die sich meine Persönlichkeit gründete.
    »Aber warum jetzt?« fragte ich, nachdem wir eine Weile geschwiegen hatten. »Wenn ihr euch schon seit Jahren nicht mehr liebt, was ich einfach nicht glaube, warum hast du dich dann gerade jetzt entschlossen, ihn zu verlassen?«
    Mit einem Mal verstand ich: die Frisur, das Make-up, die neue Kleidung, alles ergab einen Sinn.
    »Großer Gott«, sagte ich. »Ich fasse es nicht – du hast ’nen anderen, stimmt’s? Du hast einen... einen... Freund!«
    Das Miststück sah mir nicht in die Augen, und ich wußte, daß ich recht hatte.
    »Lucy«, flehte sie, »ich war so einsam.«
    »Einsam?« fragte ich ungläubig. »Wie konntest du einsam sein, wo du doch Dad hast?«
    »Bitte versteh mich, Lucy«, bat sie. »Das Leben mit deinem Vater war, als wenn man mit einem Kleinkind zusammen wäre.«
    »Hör auf!« sagte ich. »Versuch jetzt nicht, die Sache so hinzustellen, als wäre es seine Schuld. Du hast ihn verlassen, es ist deine Schuld.«
    Sie sah unglücklich auf ihre Hände und sagte nichts zu ihrer Verteidigung.
    »Wer ist es?« stieß ich hervor. Ich hatte den Geschmack von Galle im Mund. »Wer ist dein... dein... Freund?«
    »Bitte, Lucy«, murmelte sie. Ihre umgängliche Art verstörte mich. Mir war viel wohler, wenn sie mir bissig und schonungslos kam.
    »Sag schon«, verlangte ich.
    Sie saß stumm da. Tränen traten ihr in die Augen. Warum wollte sie es mir nicht sagen?
    »Es ist jemand, den ich kenne, stimmt’s?« sagte ich beunruhigt.
    »Ja, Lucy. Es tut mir leid. Ich wollte das nie...«
    »Sag einfach, wer es

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