Lucy Sullivan wird heiraten
ist«, sagte ich. Ich atmete rasch und heftig.
»Es ist...«
»Ja?«
»Es ist...«
»WEEEER?« schrie ich fast.
»Ken Kearns«, stieß sie hervor.
Wer? dachte ich benommen. »Wer ist das?«
»Ken Kearns. Du kennst ihn, Mr. Kearns aus der Reinigung.«
»Ach, Mr. Kearns«, sagte ich und erinnerte mich undeutlich an einen kahlköpfigen alten Kauz mit brauner Strickjacke, Kunststoffschuhen und falschen Zähnen, die ein Eigenleben zu führen schienen.
Welche Erleichterung! So lachhaft es schien, ich hatte Angst gehabt, es könnte Daniel sein. So wie er kürzlich von der geheimnisvollen neuen Frau erzählt hatte, und so wie Mum bei seinem Besuch mit ihm geflirtet und Daniel gesagt hatte, Mum sehe gut aus...
Schön, ich war zwar froh, daß es nicht Daniel war, aber Mr. Kearns aus der Reinigung – ehrlich, sie hätte nicht einmal dann auf einen Schlimmeren verfallen können, wenn sie es darauf angelegt hätte.
»Sag mir, ob ich das richtig verstanden hab«, sagte ich benommen. »Dein neuer Freund ist Mr. Kearns mit den falschen Zähnen, die zu groß für ihn sind?«
»Er besorgt sich neue«, sagte sie unter Tränen.
»Du bist ja ekelhaft«, sagte ich und schüttelte den Kopf. »Du bist wirklich ekelhaft.«
Weder brüllte sie mich an, noch machte sie mich nieder, wie sie das sonst zu tun pflegte, wenn ich ihr nicht mit dem gebotenen Respekt gegenübertrat.
»Bitte, sieh mich an, mein Kind«, sagte sie, während ihr die Tränen in die Augen stiegen. »Bei Ken fühle ich mich wie ein junges Mädchen. Kannst du das nicht verstehen – ich bin eine Frau, eine Frau mit Bedürfnissen...«
»Ich möchte nichts von deinen ekelhaften Bedürfnissen hören, vielen Dank«, sagte ich und verbannte die widerliche Vorstellung aus meinem Kopf, wie sich meine Mutter inmitten der Kleiderbügel mit Mr. Kearns auf dem Boden wälzte.
Nach wie vor unternahm sie keinen Versuch, sich zu rechtfertigen, aber ich kannte sie. Früher oder später würde sie nicht mehr genug Wangen haben, die sie hinhalten konnte.
»Sieh mal, Lucy, ich bin jetzt dreiundfünfzig. Das ist vielleicht meine letzte Chance auf ein wenig Glück. Das wirst du mir doch wohl nicht mißgönnen?«
»Du und dein Glück! Und was ist mit Dad? Was ist mit seinem Glück?«
»Ich hab mich bemüht, ihn glücklich zu machen«, sagte sie traurig. »Aber es hat nicht geklappt.«
»Unsinn«, entfuhr es mir. »Du hast dich immer bemüht, ihm das Leben zur Hölle zu machen! Warum hast du ihn nicht schon vor Jahren verlassen?«
»Aber...« sagte sie matt.
»Wo willst du leben?« unterbrach ich sie. Mir war schlecht.
»Bei Ken«, flüsterte sie.
»Und wo ist das?«
»Das gelbe Haus gegenüber der Schule.« Vergeblich versuchte sie einen Anflug von Stolz zu unterdrücken, der in ihrer Stimme mitschwang. Ken, Herrscher über die Welt der Chemischen Reinigung, schien nicht ganz unvermögend zu sein.
»Und was ist mit deinem Treuegelöbnis?« fragte ich. Mir war klar, daß sie das wirklich treffen würde. »Was ist mit dem Versprechen, das du ihm gemacht hast, und zwar in einer Kirche, daß du in guten und in schlechten Tagen bei ihm bleiben willst?«
»Bitte, Lucy«, sagte sie leise. »Ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr ich mit meinem Gewissen gerungen habe. Ich habe immer wieder um Rat gebetet...«
»Du bist ja eine solche Heuchlerin«, schleuderte ich ihr entgegen. Ich hatte dafür keine moralischen Gründe, aber ich wußte, daß es sie reizen würde, und daran lag mir in erster Linie. »Du hast mir mein Leben lang die Lehre der katholischen Kirche eingetrichtert und dir ein Urteil über unverheiratete Mütter und über Frauen angemaßt, die abtreiben ließen, und jetzt bist du selbst keine Spur besser! Du bist eine Ehebrecherin, du hast das siebte Gebot gebrochen, das du so hochgehalten hast.«
»Das sechste«, sagte sie. Ihr Widerspruchsgeist war nicht ganz gebrochen.
Ha! Ich wußte, daß ich sie kriegen würde.
»Was?« fragte ich angewidert.
»Ich habe das sechste Gebot gebrochen. Im siebten geht es ums Stehlen. Hast du eigentlich im Kommunionsunterricht überhaupt nichts gelernt?«
»Siehst du, siehst du!« schrie ich in bitterem Triumph. »Du fängst schon wieder an, urteilst über andere und kehrst den Moralapostel raus. Wer unter euch ohne Sünde ist, werfe den Balken aus seinem eigenen Auge!«
Mit hängendem Kopf rang sie die Hände. Wieder die Märtyrerpose.
»Und was hat Father Colm zu all dem zu sagen?« wollte ich wissen. »Ich wette, daß ihr
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