Lucy Sullivan wird heiraten
kräftig gebaut, aber in angenehmer Weise. Ich überlegte, wo er wohl sein mochte. Auf einmal kam mir ein schrecklicher Verdacht: vielleicht war er auf einer anderen Party und versuchte wie Tom, eine Frau für sich zu interessieren. Angstvoll krampfte sich mein Magen zusammen, und ich hatte das panische Bedürfnis, ihn anzurufen, wobei ich hoffte, er werde zu Hause im Bett liegen – allein.
»Das wirst du schön bleiben lassen«, sagte ich entsetzt zu mir selbst. »Ich hab dir gleich gesagt, daß das passieren kann.«
War ich trotz aller guten Vorsätze zu abhängig von Daniel geworden?
Ich zwang mich stillzusitzen – ich konnte ihn ja nicht einfach anrufen und fragen, ob er mit einer Frau im Bett lag. Warum interessierte mich das überhaupt? Die Vorstellung machte mir solche Angst, daß sie mich zugleich beruhigte. Ich hatte nie Besitzansprüche Daniel gegenüber geltend gemacht. Es war mir immer gleichgültig gewesen, welche Frauen er anbaggerte, welche er abschleppte, mit ins Bett nahm, auszog und...
Erneut stieg die panische Angst in mir auf. Er hatte lange keine Freundin gehabt – dieser Zustand konnte nicht ewig dauern. Er mußte irgendwann eine nette Frau kennenlernen. Aber was würde aus mir, wenn er anfing, mit einer zu gehen? Welchen Stellenwert hätte ich dann in seinem Leben?
Was geht da vor sich? fragte ich mich furchtsam. Ich verhielt mich, als wäre ich eifersüchtig, als... als... als wäre ich verrückt nach ihm. Ach was, völlig undenkbar! VÖLLIG UNDENKBAR. Fast hätte ich es laut herausgeschrien.
Mühsam wandte ich meine Gedanken wieder der Gegenwart zu. Ich versuchte mich auf den armen Tom zu konzentrieren, der mir eine Frage gestellt hatte und begierig auf eine Antwort zu warten schien.
»Was?« fragte ich. Ich fühlte mich ein wenig unwohl.
»Darf ich dich mal abends zum Essen einladen?«
»Aber ich steh nicht auf dich, Tom«, platzte ich heraus. Tatsächlich sagte ich: »Ich steh nicht auf dich .« Er sah ein wenig geknickt drein.
»Entschuldige«, sagte ich. »Ich hab das nicht so gemeint...« Aber ich hatte es so gemeint. Ich hatte Daniel zu sehr als mein Eigentum betrachtet, und er hatte das wohl gemerkt. Wahrscheinlich glaubte er jetzt, ich sei hinter ihm her. Unverschämter Kerl.
»Ich möchte doch nur mit dir Essen gehen«, sagte Tom flehend. »Mußt du dafür auf mich stehen?«
»Entschuldige, Tom.« Ich konnte kaum mit ihm sprechen. Daniel wollte mich loswerden, das wurde mir klar. Das war der eigentliche Grund all seines Geredes, daß ich wieder anfangen müsse zu leben. Von wegen Kleine Seejungfrau! Er versuchte, meine Hände, die sich an ihn krallten, Finger um Finger zu lösen. Das Gefühl der Demütigung durchflutete mich und verwandelte sich rasch in Zorn. Schön, dachte ich voll Wut. Dann hab ich eben nichts mehr mit dir zu tun. Ich lach mir ’nen neuen Freund an und zeig es dir. Ich würde mit Tom ausgehen, wir würden uns ineinander verlieben und wirklich glücklich sein.
»Tom, ich würde gern mit dir ausgehen«, sagte ich. Am liebsten wäre ich tot gewesen.
»Prima«, strahlte Tom. Ich hätte ihn verprügeln können, wenn er mir nicht so leid getan hätte.
»Wann?« Ich bemühte mich, ein wenig Begeisterung in meine Stimme zu legen.
»Gleich?« fragte er hoffnungsvoll. Mit vernichtend erhobenen Brauen gelang es mir, ihm klar zu machen, daß er in unmittelbarer Lebensgefahr schwebte.
»Entschuldigung«, sagte er angstvoll. »Tut mir leid. Morgen abend?«
»In Ordnung.« Es war abgemacht. Gerade noch rechtzeitig, denn im selben Augenblick kippte die Party um und erstarb.
82
I ch war fest entschlossen, Daniel nie wiederzusehen. Der einzige Haken daran war, daß ich ihn am nächsten Tag zum Mittagessen ausführen wollte. Diese Einladung konnte ich nicht gut rückgängig machen – nicht nur, weil der Tisch im Restaurant seit Wochen reserviert war, er hatte auch Geburtstag.
Vielleicht fühlte ich mich erleichtert, aber ich versuchte, nicht daran zu denken. Was nicht schwer war, denn zwischen Karen und mir herrschte eine entsetzliche Spannung. Ohne mit mir auch nur ein Wort zu wechseln, zog sie in regelmäßigen Abständen durch die ganze Wohnung und öffnete unter großem Aufwand an Zeit und Mühe alle Türen, nur um sie wieder zuschlagen zu können.
Die Situation war ausgesprochen unangenehm, und ich bedauerte zutiefst, Tom zugesagt zu haben. Ich hatte wohl den Verstand verloren – er war gräßlich, und ich hätte ihn Karen von Herzen gegönnt.
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