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Lucy

Lucy

Titel: Lucy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laurence Gonzales
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Stones Notizen. Was sollte das heißen: »dieses |67| Projekt«? Welches Projekt? Das waren sicher nicht die üblichen Arbeitsaufzeichnungen eines Wissenschaftlers. Aber sie erkannte darin den höflichen und liebenswürdigen Ton, den Donald Stone immer angeschlagen hatte, wenn er mit ihr über Funk sprach: Ja, Sie müssen wirklich bald einmal zum Tee zu mir kommen   …
    Sie las weiter. »Seit ich mich mit dem Thema ›Kreuzung über Artengrenzen hinweg‹ ausführlich beschäftigt habe, bezweifle ich nicht mehr, dass meine Pläne physiologisch möglich sind, und zwar sogar ohne die außerordentlichen Vorbereitungen, die ich getroffen habe. Es gibt inzwischen überzeugende Belege dafür, dass Schimpansen und Hominiden, nachdem sie sich vor etwa sechs Millionen Jahren genetisch auseinanderzuentwickeln begannen, auch weiterhin Hybriden gezeugt und aufgezogen haben (siehe Prager und Wilson, 1975). Mit modernen biogenetischen Techniken sind wir heute theoretisch in der Lage, die Grenzen zwischen den Arten zu überwinden und interspezifische Hybriden zu züchten.«
    Eine makabre Aufregung erfasste Jenny, und sie dachte: Ich kann nur hoffen, er meint nicht das, wonach es klingt. Dann beugte sie sich wieder über das Notizbuch, gespannt und leicht erschrocken zugleich.
    »Es steht außer Frage«, schrieb Stone, »dass sich die genetischen Strukturen von Mensch und Bonobo sehr viel stärker gleichen als etwa die von Pferd und Esel, die einen gemeinsamen Nachkommen, das Maultier, zeugen können. Aus einer Kreuzung von Bonobos und Schimpansen wurden bereits gesunde Hybriden geboren. Die vielen Ähnlichkeiten im Erbgut von Mensch und Bonobo sind in der Forschung längst detailliert dokumentiert. Es wäre, meiner Theorie nach, zunächst erforderlich, einen hybriden Karyotyp zu erzeugen, indem |68| man Fragmente menschlicher Chromosomen in das Erbgut des Bonobo einbringt. Das würde zum Beispiel sicherstellen, dass das CM P-Sialinsäure -Hydroxylase-Gen ausgeschaltet ist und dass Elemente der Retrotransposon-Untergruppe LINE-1, also L1Hs, vorhanden sind. Außerdem könnte man damit jede potenzielle Unverträglichkeit zwischen Mutter und Fötus aufgrund etwaiger als Antigen wirkender Zucker an der Oberfläche der Zellen verhindern. Es gelang mir tatsächlich, mit konventionellen Gen-Splicing-Techniken ein lebensfähiges Bonoboweibchen zu züchten, Leda, deren genetisches Profil stärker dem des Menschen als dem eines natürlich gezeugten Bonobos gleicht.«
    Jenny lief es eiskalt den Rücken herunter. »Nein«, sagte sie laut. Es musste sich um ein Missverständnis handeln, sie verstand bloß nicht richtig, was Stone da schrieb. Mit vor Aufregung klopfendem Herzen las sie weiter.
    »Leda gleicht vom äußeren Erscheinungsbild her in jeder Hinsicht einem gewöhnlichen Bonobo, einschließlich ihrer Körperbehaarung, Genitalien, Mangel an Sprechfähigkeit, dunkel gefärbter Augenhaut und so weiter. Und dennoch habe ich sie dem menschlichen Erbgut weit genug angenähert, dass sie meiner Ansicht nach einen ›nahezu menschlichen‹ Nachkommen zur Welt bringen kann, das heißt, einen, der aussieht und denkt und spricht wie ein Mensch, aber dennoch einige der vorteilhaften Fähigkeiten der Bonobos besitzt.«
    »Oh Mann, das ist doch Irrsinn«, hörte Jenny sich selbst rufen. Ihr sträubte sich jedes einzelne Härchen am Körper. War das der schlechte Scherz eines in Vergessenheit geratenen Wissenschaftlers, der sich wieder ins Rampenlicht katapultieren wollte? Hätte Donald Stone das aus reiner Sensationsgier veröffentlicht? Natürlich. So musste es sein. Oder war es vielleicht nur das Geschwafel eines Irren aus dem Herzen der |69| Finsternis, der dort draußen im Busch wahnsinnig geworden war? Jenny wusste, dass im Kongo alles möglich war. Doch Donald Stone hatte überhaupt nicht verrückt gewirkt, als sie ihm begegnet war.
    Andererseits hatten Leute, die keineswegs als verrückt galten, so etwas tatsächlich auch versucht. Jenny erinnerte sich noch vage an Details aus einem Seminar über Aids, das sie im Hauptstudium belegt hatte. Ein Biologe namens Ilja Iwanowitsch Iwanow war 1926 von der Russischen Akademie der Wissenschaften nach Afrika geschickt worden. Zweck dieser Reise war es, ein Schimpansenweibchen mit menschlichem Sperma zu befruchten. Das Forschungsunternehmen wurde vom Pariser Institut Pasteur unterstützt, das in Kindia, damals Französisch-Guinea, Schimpansen in Gefangenschaft hielt. Iwanow, ein Pionier auf dem Gebiet

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