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Lucy

Lucy

Titel: Lucy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laurence Gonzales
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der künstlichen Befruchtung, hatte bereits umfangreiche Arbeiten über die Zeugung tierischer Hybriden vorzuweisen, als er auf dem Internationalen Zoologen-Kongress in Graz 1910 die Idee menschlicher Hybriden vorstellte. Er hatte dann tatsächlich versucht, drei Schimpansenweibchen künstlich zu befruchten, doch keines wurde trächtig.
    Es war eine schlimme Zeit, in der afrikanische Jäger Schimpanseneltern töteten und dem Wissenschaftler deren Junge nach Kindia brachten. Die Forscher wussten damals noch nicht, dass Schimpansen erst im Alter von acht bis zehn Jahren geschlechtsreif wurden. Schließlich bemerkte Iwanow seinen Irrtum, ließ sich geschlechtsreife Weibchen bringen und versuchte es weiter, wobei sein Vorgehen der künstlichen Befruchtung derart brutal war, dass Forscher späterer Generationen es verurteilten. Nachdem all seine Versuche, Schimpansenweibchen zu befruchten, gescheitert waren, stellte Iwanow den Antrag, in einem Krankenhaus im Kongo Menschenfrauen |70| mit Schimpansensperma befruchten zu dürfen   – ohne die Frauen darüber zu informieren, was mit ihnen geschah. Es gab in der Forschungsliteratur zwar nirgends Belege dafür, dass das tatsächlich gemacht wurde. Der genetische Ursprung der Aids-Pandemie konnte aber bis ins westliche Äquatorialafrika zurückverfolgt werden, und die Krankheit brach beim Menschen um 1931 herum zum ersten Mal aus. Bis dahin war das HI V-Virus ausschließlich beim Menschenaffen nachgewiesen worden. Der Professor, bei dem Jenny das Seminar belegt hatte, zweifelte nicht daran, dass ein Zusammenhang bestand.
    In der Zeit von 1900 bis in die 1920er Jahre hinein versuchten verschiedene europäische Wissenschaftler, Affe-Mensch-Hybriden zu schaffen. In Russland gründeten Biologen sogar eine Kommission für Interspezifische Hybridisierung von Primaten, die die Schaffung eines Affe-Mensch-Babys überwachen sollte. Unter den Wissenschaftlern auf beiden Seiten des großen Teichs hatte es zu jener Zeit jedenfalls keine ausdrückliche Ablehnung dieser Idee gegeben. Und es war noch gar nicht so lange her, dass L.   Michael Bedford in den 1970er Jahren gezeigt hatte, dass menschliche Spermien unter Laborbedingungen in die Eizelle eines Affenweibchens eindringen konnten. Jenny hielt das für durchaus interessant, aber alles in ihr, auch der rationale Teil, die Wissenschaftlerin, sagte nein dazu. Heutzutage würde niemand mehr so etwas machen, schon allein wegen der damit verbundenen ethischen Probleme. Doch gäbe es auch gar keinen wissenschaftlichen Grund dafür. Was konnte man damit schon erreichen? Es musste eine andere Erklärung geben.
    Jenny vertiefte sich wieder in den Text, ihre Gedanken rasten. Sie überflog die Seiten, bis sie gefunden hatte, wonach sie suchte. »Deshalb zog ich Leda, das genetisch veränderte Bonoboweibchen, bis zur Geschlechtsreife auf und begann am |71| 3.   März vor drei Jahren mein erstes Experiment. Ich brachte mein eigenes Material in sie ein, indem ich sie leicht betäubte, um sie ruhig zu halten, und die üblichen Methoden der künstlichen Befruchtung anwandte, die sich bei Affenpopulationen in Gefangenschaft bereits als erfolgreich erwiesen hatten.« Jenny hörte sich laut aufstöhnen. Die Worte verschwammen vor ihr auf dem Papier. So sehr das Konzept sie auch faszinieren mochte, so sehr revoltierte ihr ganzer Körper gegen diese Vorstellung. Und die ganze Zeit stand ihr Lucy als das lebende, atmende Kind vor Augen, mit dem sie vorhin erst gefrühstückt hatte. Sie wischte sich die Augen, um klar sehen zu können, und las weiter. »Das Verfahren scheiterte ein ums andere Mal und führte zu keinerlei Resultaten, bis zum Sommer vor zwei Jahren, als ich Leda am 16.   Juni zum neunten Mal befruchtete und sich schließlich eine Zygote bildete. Das Kind, ein Junge, wurde fast vollständig ausgetragen, war aber schwer missgebildet und musste getötet werden.«
    Oh nein, dachte Jenny, er hatte ein missgebildetes Kind getötet. Entsprach das wirklich der Wahrheit? Das konnte doch nur ein schlechter Scherz sein. Oder Stone war völlig verrückt gewesen. Jenny war mittlerweile aufgestanden und lief mit klopfendem Herzen in ihrem Arbeitszimmer auf und ab. Mit mulmigem Gefühl las sie weiter. »Nach weiteren vier gescheiterten Versuchen führte die folgende Befruchtung zu einer Schwangerschaft, die im August letzten Jahres begann. Und am 5.   April dieses Jahres wurde ohne Zwischenfall Lucy geboren, mit einem Geburtsgewicht von fünfeinhalb

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