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Lucy

Lucy

Titel: Lucy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laurence Gonzales
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dass ich dich einen solchen Mist essen lasse.«
    »Aber warum denn? Die schmecken lecker.«
    »Tja, nur leider bestehen sie hauptsächlich aus Fett und künstlichen Aromen.«
    Als sie an einem Münzkasten vorbeikamen, an dem man Zeitungen kaufen konnte, blieben sie beide plötzlich abrupt stehen. »Teenager entfacht neue Bigfoot-Gerüchte« lautete die Schlagzeile. Sie musterten das verschwommene Foto eines Wesens im Wald, das vor der Kamera davonlief. Es war von hinten aufgenommen, doch sowohl Jenny als auch Lucy wussten genau, wer das war.
    »Tut mir leid. Er hatte sich an mich angeschlichen.«
    Jenny legte einen Arm um Lucy und führte sie zum Auto. Dabei sah sie sich jedoch ständig um, als wüsste schon jeder Bescheid. Und als sie losfuhren, sagte sie sanft, aber eindringlich: »Wir müssen in Zukunft sehr viel vorsichtiger sein, Lucy. So etwas darf uns nicht mehr passieren.«

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    Auch nach ihrer Rückkehr aus den Wäldern im Norden hatte Jenny Mühe, sich wirklich klarzumachen, wer Lucy eigentlich war. Immer wieder rief sie sich ihre gemeinsame Zeit ins Gedächtnis, all die Hinweise, die sie ignoriert oder als Eigenarten eines Mädchens abgetan hatte, das im Dschungel aufgewachsen war. Die Wahrheit war trotz allem unvorstellbar. Als Jenny wieder zu Hause war, waren ihr auch ein paar grundsätzliche Dinge klargeworden. Es war ein gutes Omen, dass sie trotz aller Hinweise nicht in der Lage gewesen war, Lucys wahre Natur zu erkennen, das wusste sie jetzt. Sogar der Artikel in der Duluther Zeitung hatte sie etwas darüber gelehrt, wie die Leute dachten. Die Wahrheit würde das Letzte sein, was irgendjemandem in den Sinn käme, der Lucy, diesem so aufgeweckten, hübschen und in vieler Hinsicht eben auch völlig normalen Teenager begegnete.
    Jenny begann, Lucys neues Leben zu organisieren. An der Highschool erzählte sie, dass Lucy ein Waisenkind aus Afrika sei, das sie adoptieren wolle, und die Lehrer nahmen das Mädchen herzlich auf. Lucy sollte jedoch einen Aufnahmetest machen, da sie bislang nur zu Hause unterrichtet worden war. Mit der Zeit wurde Jenny immer zuversichtlicher, dass die Dinge sich schon zurechtrücken würden. Wenn sie spätabends im Bett lag, sagte sie sich ein ums andere Mal: Lucy ist ein normaler Teenager, Lucy ist ein ganz normaler Teenager, und mit diesem Mantra auf den Lippen schlief sie ein. Oft wachte sie dann wieder auf, weil sie geträumt hatte, dass |93| Lucy in einem Einkaufszentrum eine Rolltreppe anbellte und andere Kunden wie in einem Horrorfilm kreischend mit dem Finger auf sie zeigten.
    Jenny zerbrach sich den Kopf, was sie tun sollten, falls ihnen doch jemand auf die Schliche kam. Sollten sie dann verschwinden? Harry besaß eine Farm in den Wäldern von Wisconsin. Sollte sie ihm die Wahrheit sagen, damit sie ihre Flucht dorthin planen konnten?
    Denn eins war klar: Die ganze Situation war derart kompliziert, dass Jenny sich rechtlich gesehen quasi auf Neuland bewegte. Sie könnte zwar auf ihre Rechte als Adoptivmutter pochen, aber vielleicht wären die gar nicht mehr gültig, wenn die Behörden herausfanden, dass Lucy nur zur Hälfte genetisch ein Mensch war. Welche Rechte hätte Lucy überhaupt? Hatte Jenny sich womöglich sogar der unrechtmäßigen Einfuhr von Menschenaffen strafbar gemacht? War es den Vorschriften des »Übereinkommens über den internationalen Handel mit gefährdeten Arten« nach eine Straftat, Lucy aus Afrika herauszuholen? Könnten sie ihr Lucy einfach wegnehmen? Solche Gedanken beschäftigten Jenny in diesen ersten Wochen.
    Dann kam der Tag, an dem Jenny die Adoptionspapiere einreichen und damit Lucys Einbürgerung in die Vereinigten Staaten beantragen wollte. Am Abend davor saß sie mit Lucy lesend im Wohnzimmer. Das Mädchen hockte mit untergeschlagenen Beinen auf dem Sofa und blätterte in einem großformatigen Kunstband.
    »Oh, sieh mal«, sagte Lucy und zeigte Jenny eine Abbildung mit Balletttänzerinnen von Degas. »Ist das nicht schön?«
    »Das ist eins meiner Lieblingsgemälde«, sagte Jenny.
    »Wäre es nicht toll, einmal das richtige Bild zu sehen?«
    »Ja, das habe ich sogar schon mal gesehen. Wenn wir morgen in der Stadt sind, können wir dort zu Mittag essen.«
    |94| »Wo?«
    »Im Art Institute. Dort hängen all diese Gemälde. Sieh mal.« Jenny klappte den Kunstband zu und zeigte Lucy das Cover. Es war ein Katalog der Sammlung des Art Institute of Chicago.
    Lucy machte große Augen. »Oh, du meine Güte. Du meinst, wir können uns

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