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Lucy

Lucy

Titel: Lucy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laurence Gonzales
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redete, begriff sie auf einmal, dass hier irgendetwas ziemlich falsch lief. Um sie herum fand all diese Kommunikation statt, aber sie hatte keinen Anteil daran. Lucy sah, wie die Schüler unablässig Botschaften durch das Klassenzimmer sandten, und dachte: Hey, und was ist mit mir? Sie wollte mit ihnen allen zusammen eintauchen in den Großen Strom. Doch es war, als wäre sie unsichtbar geworden.
    An diesem Nachmittag fühlte Lucy sich ganz verloren und niedergeschlagen, als sie nach Hause kam. Sie war kaum in der Küche, da fragte Jenny auch schon: »Was ist denn los? Du siehst so traurig aus.«
    »Alle hassen mich.«
    »So ein Quatsch. Du bist absolut bezaubernd.«
    »Aber es redet keiner mit mir.«
    Jenny ergriff Lucy bei den Schultern. »Hör mal. Du bist ein kluges Mädchen. Und du bist unter Bonobos aufgewachsen. Du weißt doch, dass du die Neue bist. Ist in deine Familie denn nie jemand Neues gekommen?«
    |100| »Doch, und sie haben sie schrecklich behandelt. Wenn die anderen in der Schule mich so behandeln, werde ich den Rest meines Lebens unglücklich sein.«
    »Du findest bestimmt bald Freunde. Du wirst schon sehen.«
    Doch auch in der nächsten Woche änderte sich nichts. Lucy ging in die Schule und saß mit dem Gefühl, nicht dazuzugehören, im Unterricht. Wissen sie etwa Bescheid, fragte Lucy sich. Können sie spüren, was ich bin? Sie bemühte sich, mit anderen Schülern ins Gespräch zu kommen, doch die meisten gaben nur einsilbige Antworten und gingen einfach weiter oder wandten sich nach kürzester Zeit, plötzlich wieder lebhaft, wichtigeren Gesprächen zu. Mittags machte Lucy einen Bogen um die Cafeteria und ging lieber in die Bibliothek, als sich der unausweichlichen Einsamkeit auszusetzen, die die Gleichgültigkeit der anderen über sie verhängte. Wenn sie nachmittags nach Hause kam, blieb sie meistens in ihrem Zimmer und machte Hausaufgaben oder las. Sie fühlte sich, als hingen die ganze Zeit dunkelgraue Wolken direkt über ihrem Kopf. Jenny versuchte, sie mit Spielen, Kino oder Musik aus dem Haus zu locken, doch sie widersetzte sich trotzig allen Bemühungen. Allmählich wurde Lucy sich selbst schon zuwider. Ich werde noch zu einer richtig blöden Zicke, dachte sie.
    Doch eines Tages kam schließlich die Sonne heraus. Lucy saß in der Klasse, wartete auf den Geschichtslehrer und versuchte, all die Botschaften zu ignorieren, die im Großen Strom durch den Raum schossen. Botschaften, die sowieso nicht für sie gedacht waren. Das Mädchen neben Lucy wühlte in seinem Rucksack herum. Dann hörte sie plötzlich auf und sagte: »Mist.«
    Lucy drehte sich zu ihr um. »Was ist denn los?«
    Das Mädchen knabberte stirnrunzelnd am Daumennagel. »Ich hab meinen Stift vergessen.«
    |101| Lucy reichte ihr einen Stift.
    »Oh, danke. Ich geb ihn dir nach der Stunde wieder, okay?«
    »Betrachte ihn als Geschenk. Ich hab noch einen.« Lucy bewunderte die dunkelbraunen Locken und die sportliche Gestalt des Mädchens. Ihre Augen waren hellbraun, und sie wirkte herzlich.
    Lucy erwartete schon, dass sie sich abwenden und sie wieder ignorieren würde, doch stattdessen fragte das Mädchen: »Du bist neu hier, oder? Wo kommst du her?«
    Lucy zögerte. Jenny hatte es zwar oft mit ihr geübt, aber jetzt musste sie es zum ersten Mal wirklich zu jemandem sagen.
    »Weißt du nicht, wo du herkommst?«
    Lucy lachte nervös, um ihre Verlegenheit zu kaschieren. »Doch, entschuldige. Es ist ziemlich kompliziert. Ich bin Engländerin, bin aber in der Demokratischen Republik Kongo aufgewachsen.« Da, sie hatte es gesagt.
    »Oh, cool. Ich bin Amanda Mather.« Das Mädchen streckte eine Hand aus. Lucy war sich zuerst nicht sicher, was sie wollte. Noch einen Stift? Dann begriff sie, was Amanda da tat, und ergriff rasch ihre Hand. Keiner schüttelte Hände in Lucys Familie. Man klopfte dem anderen auf den Rücken oder rangelte auf dem Boden herum zur Begrüßung.
    »Lucy«, erwiderte sie. »Lucy   … Lowe.« Sie musste sich erst noch daran gewöhnen, diesen Namen zu nennen. Es war ihr eigener Wunsch gewesen, Jennys Namen anzunehmen, aus Hochachtung, aber auch weil es weniger verwirrend sein würde, wenn sie beide denselben Nachnamen hatten.
    »Du bist also Engländerin. Und woher genau?«
    »Aus London.«
    |102| »Cool. Ich will schon lange mal eine Fahrradtour durch England machen«, erzählte Amanda. »Aber vielleicht auch lieber durch Irland. Warst du mal dort?«
    »Äh, nein. Leider nicht.« Und sie dachte: Ich war nie

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