Lucy
bestimmt, Jenny.«
Jenny ergriff Lucys Hände, und dann machte sie plötzlich ein erschrockenes Gesicht. »Oh nein. Mir ist gerade etwas eingefallen. Harry hat dein Blut, und damit deine DNA.«
»Was wird er damit machen?«
»Nichts, glaube ich. Es gibt keinen Grund. Außerdem ist er ein guter Freund von mir. Aber das Blut ist im Labor des Krankenhauses. Ich sollte es besser zurückholen, nur sicherheitshalber.«
Jenny griff zum Telefon und ließ Harry auf seinem Pager anpiepsen. Draußen vor dem Fenster war es still geworden. Der Habicht hatte sich das Eichhörnchen geholt. Das Ticken der Uhr auf Jennys Schreibtisch war das einzige Geräusch. Dann klingelte das Telefon, und Jenny bat Harry, ihr Lucys Blutproben zurückzubringen. »Nein, nein. Es geht ihr bestens«, sagte sie, und: »Ich erklär’s dir ein andermal.«
Lucy sah das Foto auf dem Schreibtisch und nahm es in die Hand. Sie erinnerte sich noch gut an den Tag, an dem es gemacht wurde. Einer der Männer, die Proviant den Kongo flussaufwärts brachten, hatte es mit seiner neuen Digitalkamera aufgenommen und ihnen beim nächsten Mal den Abzug mitgebracht. Lucy spürte eine Welle der Liebe für Jenny in sich aufsteigen, weil sie die Geistesgegenwart und den Mut bewiesen hatte, dieses Foto für sie zu retten.
Am Abend klingelte es an der Tür. Lucy sah von der Treppe aus zu, wie Jenny die Tür öffnete. Harry kam herein, unter dem einen Arm einen roten Motorradhelm und in der anderen Hand eine Plastiktüte.
»Und was hat es nun damit auf sich?« Er schien zu groß zu sein für den Türrahmen, dieser breite, gut aussehende Mann in den unordentlichen Sachen.
»Ich erklär’s dir ein andermal.«
|84| »Geht’s ihr gut?«
»Es geht ihr bestens, Harry. Lass uns ein andermal darüber reden.«
»Jenny, komm schon, ich bin’s, Harry. Was ist los?«
»Harry, sei ein Schatz, und lass es mich dir später irgendwann erzählen, okay?«
»Wie du willst«, sagte er mit einer seltsam gepressten Stimme und wandte sich zum Gehen.
»Hey.« Jenny griff nach seinem Jackenärmel. Harry blieb stehen und sah sie einen Augenblick an, und dann umarmten sie sich. »Danke«, sagte Jenny.
Als Harry schließlich gegangen war, lehnte sich Jenny mit ausgebreiteten Armen an die Tür, als wollte sie einen Sturm aussperren. Dann lief sie hastig die Treppe hinauf und an Lucy vorbei ins Badezimmer. Lucy folgte ihr und sah gerade noch, wie Jenny mit zitternden Händen ihr Blut ins Waschbecken goss.
|85| 7
Ein paar Tage später frühstückten sie wieder auf der Terrasse, unter einem grünen Sonnenschirm. Die Sonne stand schon hoch, und im Osten zog sich ein Kondensstreifen über den klaren Himmel, der immer länger wurde. Wieder kreischte irgendwo in den Bäumen ein Eichhörnchen.
»Du hast vom Großen Strom gesprochen und davon, dass das Eichhörnchen dich vor dem Habicht gewarnt hat«, sagte Jenny. »Erzähl mir doch mal genauer davon.«
»Das ist einfach unsere Sprache. So kommunizieren wir miteinander. Alle Tiere. Wir befinden uns alle im Großen Strom.«
Lucy wusste, dass sie in gewisser Weise der wahr gewordene Traum eines jeden Wissenschaftlers war. Ihr Vater hatte ihr gesagt, dass sie das ernsthaft in Gefahr bringen könnte, wenn sie in die falschen Hände geriet. Doch Jennys Fragen machten Lucy nichts aus. Sie hatte ja genauso viele Fragen an Jenny wie Jenny an sie.
»Warum haben die Leute um ihre Häuser herum eigentlich Rasen?«, fragte Lucy. »Man kann Gras nicht essen. Und dann kommen immer Männer und schneiden es ab, so dass es auch nie hoch genug wachsen kann, um nützlich zu sein.«
»Ich habe keinen gestutzten Rasen.«
»Nein, aber alle anderen.« Sie waren mit dem Frühstück fertig und trugen ihre Teller hinein. Lucy hielt Jenny die Tür auf. »Und noch etwas. Alle paar Tage kommt so ein großer lärmender |86| Lastwagen und nimmt Sachen von uns mit, Sachen, die noch nützlich sein könnten.«
»Was für Sachen?« Jenny ging zum Spülbecken, und Lucy folgte ihr.
»All das Zeug, das du im Supermarkt kaufst. Du tust es alles in diesen Container in der kleinen Seitenstraße.«
Jenny lachte und ließ Wasser über das Geschirr im Spülbecken laufen. »Das ist Müll.«
»Aber das sind doch alles noch prima Sachen. Die Schachteln, in denen das Müsli eingepackt war. Und diese hübschen Plastikschalen für die Blaubeeren. Es ist doch schade, das alles wegzuwerfen. Sind denn die Leute, die diese Sachen machen, gar nicht traurig darüber?«
Jenny drehte sich
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