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Lucy

Lucy

Titel: Lucy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laurence Gonzales
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die Schwelle zum bewussten Gedanken überschreiten, weil   … nun ja, wie denn auch? Lucy sah aus wie ein normaler Teenager, und sie sprach, lächelte, lachte wie einer. Also ignorierten die Leute, was sie ahnten. Sie schoben es weg. Doch ein Rest dieser Ahnung blieb ihnen und schürte ein leichtes, nagendes Unbehagen. Ein tiefsitzender, uralter Anteil in ihrem Inneren hatte diese neue Information aufgenommen und würde sie gut verstaut bewahren, bis sie in der Zukunft einmal gebraucht werden würde. Die Hinweise würden sich verdichten und beim leisesten Anzeichen zum Wissen erblühen.
    Kurz nach Schulanfang kam Jennys Mutter zum Abendessen. Sie war im Alter übervorsichtig geworden und hatte eine zwanghafte Angst vor allerlei Krankheiten entwickelt. Also lief sie erst mal mit einer Schachtel Desinfektionstücher durchs Haus und rieb Telefone und Türgriffe ab. Lucy hatte ihre Schulfreundin Amanda eingeladen, und Harry hatte angeboten, für sie alle Lachs zu grillen. Jenny und Harry waren in der Küche und bereiteten mit Amanda das Essen vor. Jennys Mutter saß im Wohnzimmer und las.
    »Wo ist Lucy?«, fragte Harry.
    »Widmet sich der Körperpflege«, sagte Amanda.
    »Was?«
    »Sie duscht.«
    Amanda war gerade damit fertig, den Fisch mithilfe einer kleinen Zange von seinen Gräten zu befreien. Harry streute |123| geriebenen Ingwer über die Lachsfilets, die in einer großen Glasform lagen, und begann Knoblauchzehen zu schälen.
    »Kann ich sonst noch was helfen?«, fragte Amanda.
    »Nein, das war’s, danke«, sagte Harry.
    Amanda ging ins Wohnzimmer hinüber und machte den Fernseher an. Jenny hörte ihre Mutter sagen: »Mach das Ding aus. Ich lese.«
    »Entschuldigung, Mrs Lowe.«
    »Du solltest auch lieber etwas lesen.«
    Harry und Jenny tauschten einen Blick. Jenny beträufelte den Lachs mit Zitronensaft und fügte noch ein paar Spritzer Sojasoße hinzu.
    »Du hast mir noch nicht erzählt, warum du ihre Blutprobe zurückhaben wolltest«, sagte Harry plötzlich.
    Jenny spürte ihren Angstpegel leicht ansteigen.
    »Na?«
    »Nicht jetzt, Harry.«
    Harry ließ das Messer los, legte ihr die Hände auf die Schultern und sah ihr einfach nur ins Gesicht. Diese bohrenden haselnussbraunen Augen. Jenny wandte den Blick ab. »Lass das, Harry.«
    »Du verheimlichst mir etwas über sie, Jenny. Auch wenn ich mir nicht vorstellen kann, was es ist. Hat sie Aids? Darauf habe ich sie nicht getestet.«
    »Herrgott, nein. Nichts dergleichen.«
    Daraufhin begann Harry mit der Präzision eines Chirurgen den Knoblauch zu hacken. Jenny war geradezu dankbar, dass in diesem Augenblick ihre Mutter zur Tür hereinkam, den Daumen als Lesezeichen in einer Ausgabe von
Stolz und Vorurteil
.
    »Mutter! Es dauert nur noch einen Augenblick. Der Lachs geht gleich auf den Grill.«
    |124| »Ich verstehe nicht, warum du nicht den Ofen benutzt«, sagte ihre Mutter. »Ich habe fast tausend Dollar bezahlt dafür, damals, als der Dollar noch etwas wert war.«
    »Der Lachs wird Ihnen gegrillt hervorragend schmecken, meine liebe Margaret«, mischte Harry sich ein. »Da gebe ich Ihnen mein Wort drauf. Und wenn nicht,fress ich meinen Hut.«
    »Sie meinen wohl Ihren Motorradhelm«, gab Jennys Mutter zurück. Harry war der Einzige, der ihren scharfzüngigen Bemerkungen die Spitze nehmen konnte. »Am besten fressen Sie dann auch gleich noch das Motorrad mit, wenn Sie schon dabei sind.« Sie war bereits wieder auf dem Weg hinaus aus der Küche, murmelte aber noch vor sich hin: »Ehe es Sie umbringt.«
    Harry drehte sich um und zwinkerte Jenny zu.
    Bei Tisch stocherte Lucy geistesabwesend in ihrem Essen herum. Das ist alles nur die Schuld dieser Psychologin, dachte Jenny. Mrs Lowe dagegen sprach mit großem Genuss dem Lachs zu und sagte: »Mmm, Harry, Sie hatten recht. Gegrillt ist er wirklich gut.«
    »Da bin ich aber erleichtert. Der letzte Motorradhelm, den ich fraß, hatte nämlich Gräten. Ganz im Gegensatz zu diesem Lachs hier.« Er lächelte Amanda zu.
    »Der ist echt lecker«, bekräftigte Amanda. »Danke für die Einladung, Dr.   Lowe. Und Ihnen, Dr.   Penderville.«
    »Nenn mich doch Jenny.«
    »Mich darfst du auch Jenny nennen«, schob Harry hinterher.
    Jennys Mutter kicherte. »Nun, mich darfst du Mrs Lowe nennen«, legte sie nach.
    Sie alle lachten, und Jenny hatte das Gefühl, tatsächlich eine Familie zu haben, vielleicht zum ersten Mal seit dem Tod ihres Vaters.
    |125| Harry brachte fast das ganze Abendessen damit zu, Mrs Lowe gegenüber seinen

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